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„Der Falschparker denkt nicht an das Team“

Hertha-Trainer Huub Stevens kennt sich aus: Er erörtert die Bier- und die Anzugfrage, spricht über Männerfreundschaften, Ehrlichkeit im Profigeschäft – und empfiehlt seinem neuen Verein den niederländischen Weg des Erfolgs. Nur Berlin und seine Sehenswürdigkeiten kennt Stevens noch nicht: Keine Zeit

Interview THILO KNOTTund MARKUS VÖLKER

taz: Herr Stevens, haben Sie schon die Berlin-Frage beantwortet?

Huub Stevens: Welche Frage ist das?

Die Berliner Bierfrage: Was ist das, mit Verlaub, beschissenste Bier der Stadt? Berliner Kindl oder Schultheiss?

Keine Ahnung. Ich habe hier nicht so viel Bier getrunken, eher Wein.

Auf Schalke konnte man den Eindruck gewinnen, Sie leerten ganze Fässer Bier.

Das lag am Sponsor Veltins. Aber auch da haben wir nicht so viel Bier getrunken.

Es gab auf Schalke doch das Ritual, dass Sie mit Manager Rudi Assauer nach dem Spiel immer ein Pils kippten.

Das war nur der Assauer, ich habe Kaffee oder Wasser getrunken. Meistens.

Was ist denn nun in Berlin angesagt? Schampus, Prosecco?

Nein, nein. Gewiss nicht. Ganz nebenbei, ich habe mich um so manche Frage gekümmert, aber nicht, welches Bier man hier trinken muss.

Schon im Bundestag gewesen, auf dem Fernsehturm oder in Kreuzberg?

Nein. Keine Zeit. Aber das Trainingsgelände kenne ich sehr gut.

Wie groß war der Schritt von Schalke nach Berlin?

Hier wird genauso Fußball gespielt. Fußballer verstehen die Fußballsprache. Und die ist international. Natürlich spreche ich hier deutsch, das verlange ich auch von unseren Brasilianern.

Welches Image hat Hertha?

Mir ist schon klar, dass es in Berlin ein anderes Umfeld gibt als im Ruhrpott.

Und deswegen sind sie auch in den Anzug geschlüpft?

Nein, nein. Ich habe doch auch auf Schalke nie einen Trainingsanzug getragen, sondern am Spieltag einen Repräsentationsanzug. Das ist etwas anderes. Hertha hat auch einen Repräsentationsanzug. In den Vorbereitungsspielen hatte ich ihn an. Aber diese Sache finden nur die Medien wichtig. Mal davon abgesehen, ist ein Trainingsanzug sehr bequem.

Ist der Kleiderwechsel eine Masche? Sie haben auch Aufnahmen machen lassen, auf denen Sie auf dem Hochrad im Stil der Zwanzigerjahre posieren.

Nein, mein Charakter ändert sich nicht, egal, ob ich dies oder das anhabe. Aber ich weiß, wie hier gedacht wird, deswegen muss ich mich vielleicht ein wenig anpassen.

Wenn es nun bei Hertha opportun gewesen wäre, selbst im VIP-Raum in kurzen Hosen zu erscheinen, hätten Sie diese Kleiderordnung auch mitgemacht?

Auch in kurzen Hosen bin ich Huub Stevens, der Fußballmensch.

Anders gefragt: Sie haben immer gesagt, Sie seien Schalker. Sind Sie jetzt ein Herthaner?

Auf Schalke war ich Schalker. Ich habe noch immer einen Teil von Schalke in meinem Herzen. Ich nehme einen Teil des Vereins mit, ob vom PSV Eindhoven, von Roda Kerkrade oder Schalke. Ich werde das Gefühl hier auch bekommen. Das ergibt sich bei intensiver Arbeit von ganz alleine. Außerdem: Wandlungsfähigkeit hat viel mit Kreativität zu tun.

Von den Vertragsverhandlungen im Dezember ist in Erinnerung geblieben, dass Rudi Assauer über Ihren kreativen Schub ziemlich wütend war.

Das stand nur in der Presse. Assauer hat mir als Erster von einem Telefonat mit Dieter Hoeneß erzählt. Ich wusste das gar nicht. Außerdem habe ich Assauer schon lange vorher gesagt, dass ich meinen Vertrag nicht verlängern werde und in diesem Sommer aufhöre. Ich wollte nur nicht in der Winterpause wechseln, um Schalke Zeit zu geben, einen neuen Trainer zu finden.

Nichtsdestotrotz haben Sie schauspielerisches Talent bewiesen, als Sie Interviews über ihre Zukunft bei Schalke gaben, im Wissen, dort aufzuhören.

Das ist legitim. Ich bin bis zum Vertragsende bei dem Verein angestellt. Also spreche ich über die Zukunft des Vereins. Das steht in meinem Vertrag. Ich muss den Journalisten das Gespräch anbieten. Ich habe immer ehrliche Antworten gegeben.

Wirklich?

Von mir kann keiner sagen, dass ich unehrlich bin.

Soll deswegen Rudi Assauer an ihrem Grab das letzte Wort „Er war stets ehrlich“ sprechen, wie Sie es sich in einem Fragebogen wünschten?

Das braucht Rudi Assauer gar nicht zu tun. Was ich damit sagen wollte: Ich versuche immer ehrlich zu sein. Und setze voraus, dass die anderen zu mir ehrlich sind. Wer das nicht ist, kann Probleme bekommen.

Was machen Sie mit dem?

Ich spreche mit dem. Spieler zum Beispiel sind jung, die liegen einfach manchmal falsch, machen Unsinn. Die Fehler muss man ihnen bewusst machen, damit sie daraus lernen.

Sie in der Rolle des Rat spendenden Lehrers?

Das kann mal sein, es kann aber auch sein, dass man draufhauen muss. Ich kann lustig sein, wenn ich weiß, dass danach wieder diszipliniert gearbeitet wird. Es gibt Spieler, die können damit nicht umgehen. Die meinen, wenn man lustig anfängt, geht es auch lustig weiter. So läuft das aber nicht. Es geht um den Lernprozess im Training. Und da gehört Spaß dazu. Ohne Spaß geht’s nicht.

Herr Stevens, lassen Sie uns über Emotionen reden.

Okay.

Hat Hertha mit Ihnen einen Gefühlsstau behoben. Ihr Vorgänger Jürgen Röber, mal abgesehen von gelegentlichen Ausbrüchen, war ein sehr kontrollierter Mann?

Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Wie Jürgen hier funktioniert hat, kann ich nicht sagen. Ich versuche auf meine Weise, Schritt für Schritt weiterzukommen. Überall, wo ich gearbeitet habe, hatte ich eine gute Harmonie mit den Spielern. Ich war hart, aber wenn man ehrlich ist, ist man eben hart. Ich verteile nicht nur Zuckerbrot. Profis wissen, wie man arbeiten muss. Es gibt Regeln, die ich spielerisch zu interpretieren versuche.

Ist Ehrlichkeit nicht eine unzeitgemäße Eigenschaft im Profigeschäft?

Ich versuche immer so zu sein, wie meine Natur das auch hergibt. Wenn ich eine Show aufführe, dann läufst du nach einer bestimmten Zeit gegen eine Wand. Ich will meine natürliche Art nach außen kehren.

Sie reden häufig von der „natürlichen Art“. Wenn wir es richtig verstanden haben, meinen Sie den unentdeckten Kern in jedem, den es zu entdecken gilt.

Den suche ich in den Spielern.

Welcher unentdeckte Hertha-Kern ruht in Ihnen?

Weiß ich nicht. Ich versuche nur so mit den Spielern zu arbeiten, dass sie sich wohl fühlen. Und ich steh’ mal mittendrin und manchmal drüber. Die natürliche Art muss man bei jedem Spieler rauskitzeln. Als ehemaliger Spieler habe ich dabei einen Vorteil, die schlummernden Talente eines jeden abzurufen. Ich kenne den Geruch der Kabine. Brasilianer brauchen eine andere Behandlung als ein deutscher Spieler. Flexibel durch Erfahrung, das ist es.

Ist das wirklich alles?

Man kann es auch so sagen: reden, arbeiten, reden. Nicht nur ich mit den Spielern. Vor allem die Spieler untereinander. Wenn das funktioniert, hat die Mannschaft einen Vorsprung. Denn dann reden sie nicht nur in der Kabine miteinander, sondern auch auf dem Platz, also da, wo der Einfluss des Trainers begrenzt ist. Ich will dort Leute sehen, die Verantwortung übernehmen. Nur ein kleines Beispiel: Bei Hertha hat nun jeder seinen eigenen Ball, den er selbst aufpumpen muss. Bei diesen Kleinigkeiten fängt es an.

Wie flüssig spricht Hertha die Sprache des Trainers Huub Stevens?

Bei Schalke habe ich manchen Spieler sechs Jahre trainiert. Da weiß man, wie sie unter Druck reagieren. Das weiß ich hier noch nicht.

Wird sich deshalb Erfolg erst auf längere Sicht einstellen?

Nein, man kann auch sehr kurzfristig Erfolg haben. Unkenntnis kann auch ein Vorteil sein.

Je schneller die Titel geholt werden, desto besser.

Natürlich. Jeder will Erfolg haben. Sie doch auch mit einer guten Geschichte. Aber schauen Sie: Die Journalisten sind auch abhängig von dem Gesagten, aber ich bin viel abhängiger – von Spielern, Organisation, Verletzungen.

Überfällt Sie bisweilen Ohnmacht?

Schon. Man hat es bei Schalke gesehen, als wir nach dem Gewinn des Uefa-Cups Probleme hatten. Assauer und ich wussten, dass es so kommen würde.

War es für Sie wichtiger, aus diesem Tal zurückzukommen?

Viel wichtiger als der Cup-Gewinn. Ja, natürlich.

Deutet sich ein ähnlich enges Verhältnis zwischen Ihnen und Dieter Hoeneß an wie die Verbindung Stevens/Assauer?

Ich denke doch. Bei Assauer und mir wurde immer gesagt: Männerfreundschaft. Klar, wir waren auch mal nach dem Training zusammen unterwegs für den FC Schalke 04. Ausgegangen sind wir nicht. Auf Reisen mit dem Verein waren wir immer zusammen. Wie mit Hoeneß jetzt auch.

Müssen Sie Dieter Hoeneß etwas beweisen?

Ich? Glaube ich nicht. Was denn?

Er wird Sie nicht ohne Grund geholt haben.

Ich versuche mein Bestes zu tun: da sein für den Verein, für die Spieler, Ehrgeiz zeigen. An der Basis arbeiten. Ich darf mich nie dem Vorwurf aussetzen, nicht immer alles gegeben zu haben, das ist das Allerwichtigste.

Herr Stevens, was sind die hartnäckigsten Klischees, die die Öffentlichkeit von Ihnen hat?

Das sind nur Momentaufnahmen.

Verbissen?

Das ist, wie gesagt, nur ein Moment. Nach einer Niederlage ist man vielleicht verbissen. Aber muss ich es deswegen den Rest meines Lebens sein?

Raunzig, wortkarg?

Das wird geschrieben. Dann glauben alle, dass es stimmt.

Fühlen Sie sich dadurch herabgesetzt? Einmal wurde geschrieben, Ihr barscher Ton beim Schalke-Training würde sogar kurdischen Partisanen Beine machen.

Ich kann mich nicht dran stören. Das ist so. Ich kenne die Medien, seit ich im Profigeschäft bin. Ich gehe damit profihaft um. Bin ich, nur weil ich den Spielern sage, sie sollen bei Busfahrten, bitte schön, ein weißes Polo-Shirt anziehen, ein Disziplin-Fanatiker?

In Kerkrade mussten sogar die Krawatten der Spieler gerade sitzen und die Autos akkurat geparkt sein, sonst gab’s Ärger.

Ach ja, die Parkplatz-Geschichte. Dort gab es 30 Parkplätze, im Gegensatz zu Hertha. Wenn man bei nur 30 Parkplätzen ein Auto quer auf zwei stellt, dann nimmt man einem Auto den Parkplatz. Das ist nicht mitgedacht. Das ist kein soziales Verhalten.

Was im Fußball durchaus gefragt ist.

Ja, der Falschparker denkt nicht an das Team, sondern nur an sich selbst. Fußball wird mit elf Leuten gemeinsam gespielt und nicht so, dass der eine den anderen blockiert. Und was die Krawatten angeht: Ein paar Spieler konnten die nicht binden. Ich hab’ es ihnen gezeigt. Das war Spaß, Fußballhumor. In Holland ist das viel mehr angesagt als in Deutschland.

Das heißt?

Hier gibt man sich seriöser und zurückhaltender. Man sieht Fußball als ein Geschäft. In Holland ist Fußball mehr Hobby und Vergnügen. In Deutschland führt man gern aus, was der Trainer vorgibt, in Holland fragt man nach dem Sinn des Ganzen.

Deutsche Spieler stellen zu wenig in Frage?

Ja, und sie entwickeln zu wenig Eigeninitiative. Ein Niederländer tut das von seiner Natur aus. Ein Deutscher sagt, das muss ich tun, das ist gut.

Herr Stevens, falls Sie sich doch noch an die Berliner Biere heranwagen, haben wir eine Flasche Berliner Pilsener mitgebracht. Das gehört noch zu den besseren der Stadt.

(Lacht schallend) Berliner Pilsener? Werde ich kosten. Hansi (Stevens ruft nach Pressesprecher Hans-Georg Felder), stell die Flasche mal kalt!

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