piwik no script img

Babylonisches Sprachenchaos in Osttimor

Der jüngste Staat der Welt hat jetzt eine offizielle Amtssprache, die fast niemand spricht. Die Umgangssprache dagegen wird nicht geschrieben, und die bisherige offizielle Sprache weckt schlechte Erinnungen an die jüngste Vergangenheit

JAKARTA taz ■ „Für was ist eine Sprache gut, die keiner spricht?“, schimpft Hipolita da Costa. Wie alle ihre Landsleute unter 30 Jahren hat die osttimoresische Studentin ihre gesamte Schul- und Universitätslaufbahn auf Indonesisch absolviert, der Sprache der 1975 in ihre Heimat einmarschierten Besatzer. Außerdem beherrscht da Costa noch ein paar Brocken Englisch. Doch seit der Unabhängigkeit am 20. Mai 2002 gelten in Osttimor Portugiesisch und Tetun als offizielle Landessprachen.

Da die einheimische Lingua franca Tetun, auch Tetum, seit Jahrhunderten nur mündlich gebraucht wird und als Schriftsprache kaum standardisiert ist, soll künftig sämtlicher Schriftverkehr in der Sprache der früheren Kolonialmacht aus Europa stattfinden. Indonesisch und Englisch werden in der Verfassung nur noch als Arbeitssprachen erwähnt, „die in der Regierung so lange neben den offiziellen Sprachen gebraucht werden dürfen, solange dies noch als notwendig erachtet wird“.

Wie da Costa fürchten nun viele junge Leute, wegen ihrer mangelhaften Portugiesischkenntnisse keine Chancen für staatliche Arbeitsplätze zu haben. Experten schätzen, dass es rund 13 Jahre dauern wird, bis das Schulsystem vollständig auf Portugiesisch umgestellt sein wird. Bis dahin heißt es für die Lehrer zu improvisieren.

„In den Grundschulen von Osttimor findet eine Tragikomödie statt“, meint Pandaya, Korrespondent der indonesischen Jakarta Post, nach einer Rreise durch die Inselhälfte. Weder Schüler noch Lehrer beherrschten mehr als ein paar Standardphrasen auf Portugiesisch, sind aber trotzdem angewiesen, den Unterricht in den ersten drei Klassen vollständig in dieser Sprache abzuhalten.

Dabei fehlt auch das dafür benötigte Unterrichtsmaterial: Der Import neuer Schulbücher ist sehr teuer für eine der ärmsten Nationen Asiens. „Warum nur sollen wir eine koloniale Sprache durch eine andere ersetzen?“, fragt sich der Grundschullehrer Wagur irritert.

Der Hauptgrund, so wird den neuen Regierenden und früheren Freiheitskämpfern unterstellt, sei die nostalgische Bindung an die portugiesische Sprache. Denn während des Unabhängigkeitskampfes gegen die indonesische Besatzungsmacht hatten sich der heutige Präsident Xanana Gusmao und seine Mitstreiter aus Sicherheitsgründen auf Portugiesisch verständigt, das die neuen Besatzer nicht verstanden. Die alte Kolonialsprache wurde so zum Widerstandssymbol, dem sich die früheren Rebellen noch heute emotional verbunden fühlen.

Für viele Osttimoresen allerdings – nicht nur für die jüngere Generation – ist Portugiesisch ein Relikt alter Zeiten: Gerade einmal 5 Prozent verstehen noch Portugiesisch. Indonesisch dagegen beherrschen 63 Prozent und Tetun gar 95. Mit den ausländischen Helfern, die seit dem Unabhängigkeitsreferendum 1999 ins Land kamen, gewann außerdem Englisch an Bedeutung. Viele empfinden dessen Verbreitung jedoch nicht zuletzt wegen der Nähe des politisch, wirtschaftlich und militärisch mächtigen Australien als eine Art neue Kolonialisierung.

Am einfachsten und ökonomischsten wäre es gewesen, an Indonesisch festzuhalten. Die Schulen waren gerüstet, die Kommunikation mit den Nachbarn in der Region gesichert, schließlich unterscheidet sich Indonesisch kaum vom Malayischen. Das Trauma der brutalen indonesischen Besatzung jedoch sitzt zu tief: Zwei Drittel der Osttimoresen stimmten gegen die am meisten verbreitete Schriftsprache des Landes.

Doch obwohl Portugal bereits 150 Lehrer zur Unterstützung geschickt hat, bleibt die Entscheidung umstritten. Einen Königsweg für die vielsprachige Nation scheint es nicht zu geben: Auf der kleinen Inselhälfte im pazifischen Ozean mit ihren rund 800.000 Einwohnern werden nicht weniger als 16 einheimische und 3 ausländische Sprachen gesprochen – ganz zu schweigen von zahlreichen Dialekten. Irgendeine Minderheit wäre immer benachteiligt.

Die Osttimoresen beginnen, sich mit der neuen Situation abzufinden und entdecken auch Vorteile der neuen Regelung: Durch die portugiesische Sprache wird Osttimor näher an Europa heranrücken und davon – so die Hoffnung – kulturell und wirtschaftlich profitieren. Auch wenn es noch Jahre dauern wird, bis das allgemeine Volk an diesen Vorteilen der Sprachumstellung teilhaben kann.

CHRISTINA SCHOTT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen