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Schröder sieht „neue Moral“

Kleiner Parteitag der SPD stimmt nicht ganz überraschend „einstimmig“ dem Hartz-Konzept für den Arbeitsmarkt zu.Manche Unternehmer sind auch dafür. Schröder appelliert, das Konzept „nicht zu zerreden und nicht zu zersenden“

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Kanzler Schröder wusste schon vorher, was der kleine Parteitag seiner SPD gestern beschließen sollte: die uneingeschränkte Solidarität mit den Hartz-Reformen für den Arbeitsmarkt. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dieser Vorschlag nicht akzeptiert wird“, hatte Schröder stets wiederholt.

Und, nicht überraschend, der Kanzler behielt Recht. „Einstimmig“, so lautete das Votum des SPD-Parteivorstands. Es war das vierte „Einstimmig“ in zehn Tagen. Einstimmig hatten sich auch schon die Hartz-Kommission, der grüne Parteivorstand und das Kabinett zur geplanten Arbeitsmarktreform bekannt.

Schröder nutzte seine einstündige Ansprache vor den obersten SPD-Genossen als Fensterrede an die Nation. Schließlich sind es nur noch „35 Tage vor der Wahl“. Also gab sich der Kanzler zunächst als klassischer Sozialdemokrat, der den Angriff auf die Chefs nicht scheut. Besonders die Arbeitgeberverbände attackierte er, kritisierte ihre „Blockade“ der geplanten Hartz-Reformen. „Lasst das nach“, war seine strenge Mahnung, „das schadet der Volkswirtschaft.“ Dazu gehörte auch, dass er sich vom „Shareholder Value“ der US-Wirtschaft abgrenzte. „Die einseitige ökonomistische Ausrichtung der Wirtschaft wollen wir hier in Deutschland nicht haben.“ Und: „Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht die Menschen für die Wirtschaft.“

Aber ganz wollte Schröder die „Mitte“ nicht verprellen. Und so wurde auch die Balance von „Kapital und Arbeit“ erwähnt, wurde „die Mehrheit der Unternehmer“ gelobt. Zu ihnen dürften die deutschen Chefs von IBM, der Ford-Werke, der Steigenberger Hotels und Hewlett Packard gehören. Entgegen dem Urteil ihrer eigenen Wirtschaftsverbände begrüßten sie die Hartz-Vorschläge. Erwin Staudt von IBM prognostizierte: „Keine künftige Regierung wird um die Umsetzung der meisten dieser Vorschläge herumkommen.“ Und auch Ford-Chef Rolf Zimmermann hoffte, dass mit den Vorschlägen „endlich ein neuer Reformgeist entstehen“ könne.

Eine „neue Moral“ sah auch Schröder gestern am Werk. Allerdings nur unter einer Bedingung: Wie schon so häufig in der vergangenen Woche erging erneut die Kanzlerwarnung an die Bürger und die Medien, das „Gesamtkonzept“ der Hartz-Kommission „nicht zu zersenden, zu zerreden und zu zerschreiben“. Doch wie schon in den vergangenen Tagen, so verhallte dieser Appell auch an diesem Wochenende ungehört. Selbst in den eigenen Reihen. So bedauerte etwa Florian Gerster, Chef der Arbeitsämter und SPD-Mitglied, dass das Arbeitslosengeld für die älteren Arbeitnehmer weiterhin bis zu 32 Monaten ausgezahlt wird. Und er kritisierte auch, dass die Pauschalierung des Arbeitslosengeldes in den ersten sechs Monaten nicht durchgesetzt werden konnte. Denn dies hätte seine Verwaltung enorm entlastet.

Obwohl die Hartz-Reformen für den Arbeitsmarkt die Schlagzeilen in den vergangenen Monaten bestimmt haben, rechnen Parteienforscher nicht damit, dass die rot-grüne Koalition bei den Wahlen davon profitiert. Es breite sich „Zynismus“ bei den Bürgern aus, meint etwa der Göttinger Politologe Peter Lösche.

Denn, so die Erfahrung der Wähler, weder die Regierung Kohl noch eine rot-grüne Koalition habe die Arbeitslosigkeit fundamental verändern können. Daher erwartet Lösche, dass die Wahlbeteiligung auf rund 74 Prozent sinkt. „Vor allem die jungen Menschen wollen damit Protest äußern.“ Auch das ZDF-„Politibarometer“ kann keine Veränderungen durch die Hartz-Diskussion erkennen: CDU und FDP erhalten danach weiterhin etwa 50 Prozent der Stimmen.

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