flucht vor der fernsehflut von OLIVER THOMAS DOMZALSKI:
Am vergangenen Montagabend, als das Erzgebirge sich verflüssigte und gen Dresden in Bewegung setzte, überzeugte der MDR noch mit seiner besonnenen Programmpolitik: Anstatt die Bürger in seinem Sendegebiet mit konkreten Warnungen in Unruhe zu versetzen, zeigte man abgebrüht den angekündigten Georg-Thomalla-Film von 1969.
Mittlerweile haben sich die Sender aber von der allgemeinen Hysterie anstecken lassen und ihr Wochenendprogramm den Ereignissen angepasst. Mit schlimmen Folgen – sie treffen den richtigen Ton nicht. Oder fanden Sie es feinfühlig, wie die ARD am Freitagabend über die jüngsten „Brennpunkt“-Quoten jubelte? „Wenn das kein Grund zum Feiern ist – Gala mit Patrick Lindner“.
Am Samstag um 10.30 Uhr legten sie die auch nicht gerade aufbauende Flüchtlingssendung „Dann hau ich eben ab“ nach. In dasselbe Horn stieß übrigens der WDR zum Wochenendabschluss mit „Zimmer frei“ (Sonntag, 23.00). Und beim MDR taten die Redakteure, was sie zu DDR-Zeiten nicht durften: Sie empfahlen – selbstverständlich „In aller Freundschaft“ (18.00) – die Flucht: „Der Weg nach Westen“ (14.00) und „Alles Gute“ (17.00). Abends riefen sie, fast reumütig, hinterher: „Junge, komm bald wieder“ (20.15). Aber nix da, der Junge ist weg: „Entscheidung für New York“ (Hessen, Montag, 22.30).
Die leidgeprüften Bayern setzten dem ein trotziges „Hier bin ich – hier bleib ich“ (Sonntag, 14.25) entgegen; der SDR versuchte noch zu besänftigen mit der Uschi-Glas-Komödie „Mensch, ärgere Dich nicht“ (Samstag, 15.15). Auch der ORB stimmte seine Brandenburger am Montagabend heiter ein auf die zu erwartenden Überschwemmungen: „Allotria in Zell am See“ (20.15) mit dem bezüglich großer Flüssigkeitsmengen ja erfahrenen Harald Juhnke. Und Sendungen wie „Böhmens Burgen und Schlösser“ (3sat, Samstag, 14.15); „Die geheimnisvolle Welt der Fischotter“ (Sonntag, 13.15) sowie „Mit dem Raddampfer elbaufwärts“ (Phoenix, Samstag, 18.00) versuchten so zu tun, als sei alles nicht so schlimm. Ob das wirklich ankommt? Freut sich die örtliche Polizei tatsächlich über die gut gelaunte Aufforderung „Fahr mal hin“ (SWR, Sonntag, 19.15)?
Da sind doch handfeste Beiträge zur Lage geeigneter. Zum Beispiel die ARD-Wasserstandsshow „Null-Acht-13“ (Samstag, 11.03); der – etwas verspätete – Appell „Bürger, rettet Eure Städte!“ (ZDF, Sonntag, 13.50); die Elbe-Biografie „Klein, schnell und außer Kontrolle“ (3sat, 21.15) und die aktuelle Familienserie „3 in einem Boot“ (SWR, Sonntag, 16.00). Ob die Hochwasseropfer allerdings bereits jetzt mit ihrer Zukunft als Meeresanrainer konfrontiert werden wollen, erscheint fraglich: „Tauchfahrt in die Vergangenheit“ (Phoenix, Samstag, 21.00); „Versunkene Welten“ (HR, Sonntag, 23.05); „Post am Fjord“ (Phoenix, Sonntag, 11.55) und „Seemannsgarn. Sagen und Lügen auf hoher See“ (Arte, 0.20) – das kann schmerzen.
Nur eines ist sicher: Vom Wetter wollen die Leute derzeit nichts hören. Vor allem, wenn sie so verarscht werden wie am Sonntag um 10.15 Uhr auf 3sat: Da lief „Zärtlicher Regen“.
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