Dusselige Gebrochenheit

Hässliche Männer mit Rastas und Bärten, und im Publikum keine Frauen weit und breit: Die US-Band Korn bestätigte in der Arena alle Vorurteile gegen New Metal und Rock

Ein Wummern, das Licht geht an, und auf dem bombastischen Videoscreen hinten läuft irgendwas mit Horror los. Okay, jetzt wird es gefährlich. Wir sind fest entschlossen. Wir wollen wirklich wissen, was es auf sich hat mit diesem New Metal, dem angeblich wichtigsten Segment der Musikindustrie Amerikas heute. Korn kommen, und es soll lustig werden. Menschen sollen hopsen, wir wollen aufhören zu denken und einfach mal kurz alle Vorbehalte in den Schrank stellen.

Auf der Bühne stehen hässliche Männer. Sie haben Rastas und Bärte, wie man sie in Venice Beach, L.A., trägt, der Heimat von Korn, wo die Kehrseite des kalifornischen Traums von Erfolg und positivem Denken, Hollywood und gestählten Körpern die Zeit vertreibt. Sänger Jonathan Davis, bleich und schwammig, singt von essenziellen Gefühlen, von Wut und Verlassenheit. Über seine Aggressionen, an denen die Welt schuld ist. Über den Schmerz ganz tief innen drin.

Ah, denken wir, davon haben wir gehört, hier ist er also, der Underdog des New Metal, eines von diesen armen Elternopfern, Scheidungskind zumindest, manchmal wie im Fall von Davis sogar geschlagen und missbraucht. Die Unterprivilegierten kommen zu Wort, denken wir uns und sprechen uns damit Mut zu. Weiter im Text: Manchmal, schreit er, weiß er nicht, ob er nur schläft oder ob er schon tot ist. „I see the flesh and it smells fresh“, meint er. Ein undurchsichtiger Soundbrei ergießt sich in die gut gefüllte Arena. Melodien sind kaum erkennbar. Langsam wird es langweiliger. Immer wieder kommt das Publikum aus dem Takt – und wir fragen uns nach und nach, ob es nicht vielleicht ein Fehler war, ausgerechnet zu Korn zu gehen.

Korn, vor acht Jahren gegründet, das fünfte Album draußen, gelten zwar auch nur als Epigonen, die mit Resteverwertung von altem Rock mit eingestreuten Bösartigkeiten, wie man sie vom Heavy Metal kennt, mundgerecht die Lücke von Bands wie Nirvana und Faith No More füllen – aber immerhin, heißt es, gehören Korn noch zu den Intelligenteren, den Kantigeren, dem kleineren Übel also, das eine ganze Schar viel schlimmerer Epigonen mit sich hochzog, die noch langweiliger und noch symmetrischer waren als diese. Wir hätten zu Limp Bizkit oder Kid Rock gehen sollen. Immer wieder werfen Korn ihr Publikum raus aus dem Abend mit ihrer dusseligen Gebrochenheit, und schon sind sie wieder da, die Vorbehalte.

New Metal ist und bleibt eine Heimsuchung. Ein Rückfall hinter alle Errungenschaften, die Pop so sexy macht, auch für Frauen. Alles vergessen: wie Punk den Frauen noch die Türen öffnete, weil er so körperfeindlich war, dass er sie von allen Schönheitsidealen befreite. Wie auf den Raves genauso viele Frauen wie Männer waren, und sei es nur, weil man schlecht Mädchen abgeschleppt bekommt, wenn man die neuen Pillen eingeworfen hat. Als hätte es das Spiel mit den Geschlechteridentitäten nie gegeben. Im New Metal gilt wieder als schlecht, was künstlich und kommerziell ist, und als gut, was ehrliches Handwerk ist. Wir sind gegen den Mainstream. Wir Individualisten. Wir Männer.

Schaut man einmal kurz ins Publikum, bestätigt sich das alles. In der Arena ist höchstens jede Zehnte eine Frau. Und außerdem: Mag sein, dass viele Macher von New Metal mal arm dran waren, seine Konsumenten sind es sicher nicht. Man will ja gar nicht mit den Veranstaltern schimpfen, die mit astronomischen Gagen zu kämpfen haben – aber welches Kind aus einfachen Verhältnissen, bitte schön, soll sich das leisten können? Eintritt 40 Euro, Bier 3 Euro und dazu noch ein Korn-T-Shirt, das hier auch jeder trägt, für noch mal 30 Euro. SUSANNE MESSMER