: Das Herz singt links
Politisch Lied, garstig Lied, Gitarren-Lied: In Blumenthal will man an Woodstock-Traditionen anknüpfen
„Tot sind unsre Lieder… Lehrer haben sie zerbissen, Kurzbehoste sie zerklampft, braune Horden tot geschrien, Stiefel in den Dreck gestampft.“ So beklagte Franz-Josef Degenhardt einst die Diskreditierung des politischen Singens in Deutschland. So besang er sie – denn wirklich tot waren links-engagierte Lieder nie, woran die Festivals auf Burg Waldeck Mitte der 60er Jahre großen Anteil hatten. Deren Tradition soll am Wochenende im „Haus Blomendahl“ wiederbelebt werden.
Woodstock-Feeling in Bremen-Nord – ein großes Liedermachertreffen, für das sich das Kito, das Gustav-Heinemann-Bürgerhaus und das Haus Blomendahl zusammengetan und eine mehrjährige Vorbereitungszeit investiert haben. „Wir wollen an den progressiven Teil der Wandervogelbewegung anknüpfen“, erklärt Stefan Linke vom Vegesacker Kito.
Burg Waldeck, idyllisch im Hunsrück gelegen, war für den „Wandervogel“ schon 1910 ein zentraler Ort. Dort entstand ein Zentrum der Jugendbewegung, mit einer Wiederbelebung des Waldeck-Festivals zwischen ’63 und ’67.
Dabei entstanden allerdings tief gehende Streitigkeiten darum, wie stark politisch das Festival ausgerichtet werden sollte. Zwischen politischem Anspruch im Zuge der Studentenrevolte („Stellt die Gitarren in die Ecke!“) und dem Bedürfnis, vornehmlich musikalische Traditionen weiterzuführen, war kein Kompromiss zu finden. Immerhin waren von Waldeck wichtige Impulse zur Wiederentdeckung jiddischer Musik, der Bauernkriegs- und Revolutionslieder und zum Anknüpfen an die Songs der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ausgegangen.
Was jetzt in Blumenthal zu hören sein wird, beschreiben die Veranstalter als „Lieder gegen den Tritt, für Lebensfreude und Zivilcourage“. Das erinnert an die politische Straßenmusik der RAK-Treffen („Rotzfreche Asphaltkultur“), wird aber insgesamt wohl ein etwas volkstümlicheres Ambiente haben.
Jedenfalls: jede Menge Folk, Chanson, Blues, Volkstanz und Gauklertum, über das Hein und Oss Kröher, damals Mitbegründer der Waldeck-Treffen, die Schirmherrschaft übernommen haben. Mit dabei sind auch – unter anderen – Liederjan, der Degenhardt-Sohn Kai, der Plattdeutsch-Poet Helmut Debus, Bandoneonist Klaus Gutjahr, die kurpfälzische Joana (die nichts dagegen hat, als deutsche Joan Baez bezeichnet zu werden) und „Die Edellatscher“. Außerdem soll es Diskussionen über „Heimatmusik“, nationalsozialistische Spuren in Volksliedtexten und politische Liedtraditionen geben.
Nebenbei: Der Austragungsort der Barden, das Haus Blomendahl, ist eine im 14. Jahrhundert erbaute Raubritterburg. Die war zwar bei den Bremer Kaufleuten äußerst unbeliebt, lohnt aber einen Besuch. HB
Am 23. (ab 18 Uhr), 24. (ab 19 Uhr) und 25. August (11 bis 17 Uhr) in Haus Blomendahl in Blumenthal. Ab Bahnhof Vegesack mit den Bussen 70, 71 und 74 bis Bahnhof Blumenthal. Anmeldungen für die Liederwerkstatt unter ☎ 0421/65 08 05. Siehe auch taz-„Kutipps“ am Donnerstag oder www.buergerhaus-vegesack.de bzw. www.kitoinbremen.de. Tageskarten kosten 15 Euro, 30 Euro das gesamte Wochenende.
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