: berliner szenen An der Bahnsteigkante
Ein Zug namens Berlin
Die Bahn hat Verspätung. Sie kommt nicht zur angekündigten Zeit am Ostbahnhof an. Man muss sich gedulden. Eine ordentliche Bahnverspätung aber hat auch für Abholer etwas Positives: Endlich hat man Zeit für Gedanken, und auch den Raum, denn die Bahnsteige sind so schön lang. Zum Beispiel kann man sich Gedanken machen über die neuen Namen, die die Bahn ihren Zügen geben will. Für Bahnsüchtige eine ganz neue Spielwiese. Statt „Malwida von Meysenburg“ und „Porta Westfalica“ soll die ICE-Flotte in Zukunft Städtenamen tragen. Der erste Zug heißt natürlich „Berlin“. Getauft wird am 31. Oktober, in Berlin, mit Wowereit und Mehdorn, nach der Wahl und vor der Preiserhöhung. Berlin übernimmt die Patenschaft und dafür gibt es Namen plus Stadtwappen am Zugende gleich zweimal, auf beiden ICE-Backen. Die Zugpatenschaft bleibt natürlich kein Berliner Privileg, auch andere Städte werden bald munter durch Deutschland fahren: Darmstadt, Salzgitter, Tauberbischofsheim. Wer je behauptet hat, die Bahn fahre eingleisig, lügt!
Weiter geht’s mit Zeitverschlendern: Am Bahnsteigende hängt eine „SauberkeitsCheck“-Liste. In diese trägt sich Servicekraft XY ein, wenn sie den Bahnsteig gereinigt hat. Aber damit Sevicekraft XY auch weiß, worum es beim Reinigen geht, wird nochmals klar der „Leistungsumfang“ hervorgehoben: „Tag – Kundenorientiert reinigen; Nacht – Naßreinigung“. Kundenorientiert reinigen heißt wahrscheinlich: Um die Kunden herum reinigen. Oder: Besonders dreckigen Kunden hinterher reinigen. Oder: So reinigen, dass es die Kunden auch bemerken. Denn dann verstehen sie endlich, warum die Bahn so teuer ist. Klar, dass auch Berlin bald teurer wird. Die Bahn ist Schuld. MOIRA LENZ
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