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Wasser und Musik

Wissenschaftssommer mit der Kammerphilharmonie: Musikalisch top, das Rahmenprogramm mangelhaft – ein Konzert mit Schönheitsfehlern

Der Wissenschaftssommer in Bremen ist fast überall präsent. So nun auch in drei Konzerten der deutschen Kammerphilharmonie Bremen.

Leider ist die Präsentation der Konzerte mehr als mangelhaft: So gab es im ersten Orchesterkonzert in der oberen Rathaushalle zu dem sehr schönen Programm nicht die mindeste Erklärung, sieht man einmal von dem netten konzeptionslosen Einleitungsplausch zwischen dem Geschäftsführer der deutschen Kammerphilharmonie, Albert Schmitt, und dem Geowissenschaftler Gerd Fischer ab. Ein qualifizierter Einführungstext dagegen, der thematisiert, welche Naturauffassung hinter den musikalischen Kunstwerken steht, hätte Geld gekostet – und das ist nicht da. Kein Geld kostet es, Titelangaben zu präzisieren: Kein Wort davon, dass die „Einleitung“ zu Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ „Das Chaos“ heißt, kein Wort über das Felix Mendelssohn-Bartholdys „Meeresstille und glückliche Fahrt“ zugrundeliegende Goethegedicht, kein Wort über die Szenen, die sich in Friedrich Smetanas „Die Moldau“ abspielen.

Nicht einmal die Titel stimmten: Aus „Il terremoto“ wurde „Terremento“, und aus Haydns Titel „Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz“ wird – husch husch – „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers“.

Kompositionsdaten wären eine Mini-Information gewesen. Vielleicht haben sich die Verantwortlichen der Kammerphilharmonie ja gedacht, dass man der Musik schon anhört, um was es geht. Trotzdem: Bei einem Eintrittspreis von 22 Euro wirkt das gedankenlos hingeknallt.

Aber sonst war es gut, wenn auch nicht sehr gut. In Haydns „Chaos“ könnte man sich die unglaublichen dynamischen Kontraste und die noch unglaublicheren Dissonanzen schärfer vorstellen. Stimmungsvoll Mendelssohns Meeresstille, man sah so richtig die glitzernde Wasseroberfläche ebenso wie die mit der Piccoloflöte geschilderten grellen Stromschnellen bei Smetana. Wenn die Moldau in voller Breite auf Prag zufließt, kann man der Kammerphilharmonie die Rückenschauer gerne bescheinigen: das war gut aufgebaut.

Man sah auch Borodins prickelnd heiße Steppenlandschaft in „Eine Steppenskizze aus Mittelasien“, und man konnte gut Wolfgang Rihms Trauerstück „Natura Morte – still alive“ (die Natur im Todeskampf) nachvollziehen. Und das „Terremoto“ von Haydn, eines der wunderbaren und interessantesten Zeugnisse von Haydns innovativer Kompositionstechnik: furios die Freiheit der Tonalität auch in diesem Stück, die jagenden Unisonofiguren in bedrohlichen Halbtonschritten. „Con tutta forza“ schreibt Haydn über seine Partitur, und das nahmen die Kammerphilharmoniker ernst.

Insgesamt: Ein schönes Konzert – mit Schönheitsfehlern. Am Dienstag gibt es im Vortragssaal der Kunsthalle Bremen um 20 Uhr das letzte Konzert, das Barockmusik mit zeitgenössischer konfrontiert.

Ute Schalz-Laurenze

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