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Fester Glaube

Die Grüne Marieluise Beck kämpft persönlich und mit Sachverstand um jede Wählerstimme

Es geht um eine berufliche Existenz. „Jetzt brauche ich Stift und Papier“, sagt die Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck. Dann notiert die 50-Jährige: Bremerhaven. Amerikanische Schule. Gerade hat die junge Kopftuchträgerin Hilal der Politikerin berichtet, dass sie auf Anweisung der Schulbehörde nicht einmal mehr zum Praktikum ins Klassenzimmer dürfe. Die in Deutschland geborene Tochter türkischer Eltern studiert Deutsch und Geografie. Am Berufsziel Lehrerin will die strenggläubige Muslimin ebenso fest halten, wie an den einen Meter fünfzig Stoff, mit dem sie Kopf und Hals verhüllt.

„An einer Ausbildung darf sie der Staat nicht hindern“, sagt Beck, zugleich Bundesausländerbeauftragte. Anders sehe es für Kopftuchträgerinnen bei der Übernahme ins Beamtenverhältnis aus. Die zehn Mitglieder der Muslimischen Frauengemeinschaft, die die Grüne am Freitagabend in ihr Haus in der östlichen Vorstadt eingeladen hatte, hören gespannt zu. Viele von ihnen studieren auf Lehramt. Noch könnten sie aufs Bundesverfassungsgericht hoffen, erklärt Beck, ganz die sachliche Ausländerbeauftragte – als gäbe es kein Mandat, für das die Bremer Politikerin, die nach dem Neuzuschnitt der Wahlkreise mehr Stimmen denn je braucht, hier am eigenen Esszimmertisch kämpfen müsste. In gepflegter Atmosphäre, bei Mozarella und Tomaten, Saft und Selters. Zwischen moderner Malerei an den Wänden und Buchtiteln wie „Aimèe und Jaguar“ und Roths „Sabbath“ im Regal.

Ganz auf Austauch konzentriert, hört Marieluise Beck den Frauen zu und fragt immer wieder nach. „Wie reagieren die Patienten auf Sie?“, will sie von der Arzthelferin wissen. Die hat Glück – und eine unerschrockene Chefin. „Da ist die Tür. Sie können sich entscheiden, ob Sie meine Patientin bleiben“, habe sie die Kopftuch tragende Auszubildende im zweiten Lehrjahr vor weiterer Beleidigung geschützt. Die Patientin blieb, die Azubi fühlt sich akzeptiert. Ebenso die angehende Krankenschwester der Sankt-Jürgen-Klinik. Noch heißt es an diesem Abend: „Keine Probleme.“

Die Sorgen der Lehrerinnen kommen erst eine Stunde später zur Sprache. Das Kopftuch, ein Frauenproblem – das größte, das die streng gläubigen Musliminnen zu haben scheinen, die ansonsten um das keusche Leben nach den Vorschriften des Koran ringen, der nach ihrer Darstellung die Frau über den Mann stellt. „Ja, Sie staunen“, lächelt eine. Natürlich gehe es nicht um gleiche Rechte von Mann und Frau. „Wir sind ja verschieden.“ Aber Vieles – wie das Autofahrverbot in Saudiarabien – sei Auslegungssache, oft „kulturell bedingt“. „Die Türkei ist mir fremd“, hatte eine Frau zuvor klar gestellt, ohne zu erwähnen, dass ein Studium mit Kopftuch dort unmöglich wäre. Fast alle Frauen am Tisch sind in Bremen aufgewachsen, als Schülerinnen auch mal auf Klassenfahrt gegangen. Auch am Sexualkundeunterricht haben sie teilgenommen. „Das ist Bildung“, sagen sie. Fast wie das Kopftuchtragen, so klingt es durch: „Man muss den Koran lesen und verstehen.“ Zwang zum Kopftuch sei schwierig. Die Abgeordnete Beck will nun wissen, wie ihre Gäste denen begegnen, die es ganz anders halten.

Viele deutsche Frauen seien besorgt, dass Musliminnen mit ihrem Kopftuch für Werte stünden, die „zurückführen in eine alte Zeit“, sagt Beck und erklärt: „Wir haben das Gefühl, wir haben uns was geholt, was die Männer nicht gerne hergegeben haben.“ Doch echte Antworten darauf bekommt sie nicht. Die Medien würden ein rückwärts gerichtetes Bild vermitteln, sagt eine. Und eine andere: „Sie tun doch auch nicht alles, was man von Christen erwartet – und müssen sich nicht vor mir rechtfertigen.“ Doch als Beck fragt, wie ihre Gäste zur Scharia, der islamischen Rechtsprechung, stehen, werden die ganz unruhig. Auf türkisch drängen einige zum Abendgebet. Wo ist Osten und wo ist ein Teppich, den noch kein Schuh berührt hat?

Im Haus der Bundesausländerbeauftragten tat es am Freitagabend ein Betttuch. Danach muss die Krankenschwester nach Hause. Frühdienst. Alle versprechen, Kontakt zu halten. „Welche Partei ist sie?“, flüstert eine Studentin beim Gehen.

Vor Beck liegt noch ein anstrengendes Wochenende. Am Sonntag kommen wieder Gäste. Morgens und abends. ede

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