mein feind, der baum von RALF SOTSCHECK:
Bäume gehören eigentlich zu den Dingen, die in England wenig umstritten sind. Sie verschönern die Umwelt und erfreuen das Auge. Es sei denn, es handelt sich um Leyland-Zypressen. Dann kann es im Land der Kleingärtner schon mal zu Mord und Totschlag kommen.
Diese Zypresse ist eine zufällige Kreuzung zwischen zwei Nadelbäumen aus Nordamerika, die 1888 im Park des Baumsammlers C. J. Leyland entdeckt wurde. Seit den Sechzigerjahren wird die Leyland-Zypresse vermarktet. Manche Hobbygärtner schätzen sie, weil sie „in jedem Boden wächst, dem Wind standhält, nicht krankheitsanfällig ist und wie eine Rakete wächst“, wie es in der Werbung heißt. Aber sie hört mit dem Wachstum nicht mehr auf. Sie schafft mindestens einen Meter im Jahr, ein Baum in Kent ist bereits mehr als 40 Meter hoch. Deshalb wird der rasante Nadelbaum gerne als Hecke angepflanzt – zum Ärger der Nachbarn, die in ewiger Dunkelheit leben müssen. Es gibt inzwischen genauso viele Leyland-Zypressen, wie es Briten gibt: 55 Millionen. Noch nie in der Geschichte der Gärtnerei hat eine Pflanze das ländliche England in den Kriegszustand versetzt.
Eine Umfrage ergab, dass 97 Prozent der Befragten für eine Kettensägenlösung sind: Die Behörden sollen bevollmächtigt werden, das gigantische Grünzeug abzuholzen. Der entnervte Umweltminister Michael Meacher versprach eine Gesetzesinitiative gegen den Heckenterror: „Die Leyland-Zypresse hat das Leben von Tausenden ruiniert, gerichtliche Schlachten ausgelöst und sogar zu Gewalttaten geführt“, sagte er. Sie ist der Ussama bin Laden der Pflanzenwelt.
Vorletzte Woche wurde der 61-jährige Uri Bowen des Mordes an seinem Nachbarn angeklagt. Er hatte den 56-jährigen Llandis Burdon nach einem Streit um dessen Hecke erschossen. Die beiden hatten 20 Jahre nebeneinander gewohnt. Der pensionierte Briefträger Phil Bodenham ist wegen der Zypressen um seine Ersparnisse gebracht worden. Der 79-Jährige hatte die Leyland-Hecke seines Nachbarn etwas gestutzt, weil die Zweige in seinen Garten in Gloucestershire hineinragten. Doch er schnitt 18 Zentimeter zu viel ab. Das Gericht verurteilte ihn zu 200 Pfund Schadenersatz – und zur Zahlung der Gerichtskosten in Höhe von 15.000 Pfund. Ein anderer Rentner, John Gibbons aus Sunderland, muss seit zwei Jahren monatlich 40 Pfund an seinen Nachbarn zahlen, weil er dessen Zypressen einen Kopf kürzer gemacht hatte. Das garstige Gewächs ist inzwischen sechs Meter hoch, und Gibbons muss tagsüber das Licht in seinem Haus einschalten.
Einmal aber gewannen die Opfer der Monsterhecken: Michael Jones hatte die 25 Meter hohen Zypressen seines Nachbarn um 2,50 Meter gekürzt. Nach einem Prozess, der sieben Jahre dauerte und 100.000 Pfund kostete, bekam er Recht. Daraufhin gründete er „Hedgeline“, eine Hilfsorganisation für Heckenopfer – und für die Opfer von Heckenschützen: Im Mai wurde der Kleingärtner George Whitmill mit Gewehrschüssen von seinem Vorhaben abgebracht, die Hecke seines Nachbarn mit der Motorsäge zu frisieren.
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