: Rundes ins Runde
Es wird gewahlkämpft – immer dabei: die Torwand
Kaum mehr vorstellbar ist heutzutage ein Wahlkampf ohne die Fußballtorwand: Jene handballtorgroße Holzplatte mit den zwei klobrillengroßen Löchern drin. Eins unten rechts, das andere links oben. Man kennt die Torwand aus dem Fernsehen. Seit Jahrhunderten schon gehört sie zum Inventar des ZDF. Fest im deutschen Volk verwurzelt sind deshalb auch die Regeln des Torwandschießens: Drei Schuss zunächst auf das Loch unten, anschließend drei oben. Ziel der Übung ist es, das Runde, nämlich den Ball, möglichst oft ins Runde, nämlich die Löcher, zu treten.
Außerhalb des Fernsehens tauchte die Torwand vor etwa zwei Jahrzehnten zunächst auf Schützen-, Feuerwehr- oder Stadtteilfesten auf. Bald durfte sie auch bei keiner Auto- oder Möbelhaussause mehr fehlen. Mittlerweile gehört die Torwand zusammen mit der Hüpfburg, dem Tombola-Glücksrad und einem Campingtisch, hinter dem in der Regel zwei schwitzende Hemdsärmelige hektoliterweise Heliumgas in Hunderte von Luftballons pumpen, zur obligatorischen Möblierung eines jeden Freiluftevents.
Vor gut 20 Jahren begann sich plötzlich auch der Straßenwahlkampf sämtlicher deutscher Parteien durch nichts mehr von den Eröffnungs- oder Jubiläumsfeierlichkeiten einer Tankstelle oder eines Hundesalons zu unterscheiden. Dabei ist es bis heute so geblieben. Kein Orts-, Kreis- oder Landesverband egal welcher Partei, der seitdem nicht auch über eine Standleitung zum nächsten Hüpfburgverleih verfügte. Wenn sich aber ein nur halbwegs prominenter Politdarsteller zu einer Wahlkampfveranstaltung ansagt, muss zwingend auch eine Torwand her. Womit sonst sollte anderntags die Presse ihren Bericht bebildern, wenn nicht mit einem Foto des dynamisch auf die Torwand abziehenden Wahlkämpfers? Keiner aus der deutschen Politelite der letzten beiden Dekaden, von dem es nicht mindestens eine solche Aufnahme gibt: Kohl mit lippengequetschter Zunge, Schröder mit fliegendem Schlips … Auf einer Hüpfburg hüpfen sah man sie dagegen nie.
Auch die schreibende Presse benutzt das Torwandschießen gern als Aufhänger für eine ihrer tiefer bohrenden Analysen. Denn schon aus der Anzahl seiner Treffer lässt sich doch allerhand Aufschlussreiches über die Wahlkampfform eines Politikers folgern: Hatte nicht etwa der sozialdemokratische Kandidat vornehmlich ins rechte Schussloch gezielt, obgleich er doch als strammer Linker gilt? Und was hat es zu bedeuten, dass der sonst so zuverlässige Konservative nicht nur keinen einzigen Ball versenkte, sondern nicht einmal die Torwand selbst traf?
Letzteres ist kürzlich dem Kanzlerkandidaten Stoiber geschehen. Sein Schuss auf die Torwand der CSU im bayerischen Cham ging einen satten Meter daneben. Der Ball traf eine Zuschauerin so wuchtig im Gesicht, dass Sanitäter Erste Hilfe leisten mussten. Die Tatsache, dass die Agenturen dieses Ereignis per Eilmeldung vertickerten, lässt auf eine künftig noch zunehmende Bedeutung des Wahlkampfutensils Torwand schließen. Der Wahlkampf wird kommen, dessen Wahlkampfhöhepunkt nicht mehr aus einer zweistündigen Worthülsenschlacht eines TV-Duells besteht, sondern aus je sechs Schüssen auf die Torwand im Sportstudio des ZDF. Zurzeit deutet jedenfalls alles in diese Richtung. FRITZ TIETZ
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