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Vom Nachbarn zum Sonderling, zum Feind

Medien können Konflikte schüren – aber auch zwischen Konfliktparteien vermitteln. An der Universität von Sofia lernen Journalisten aus Südosteuropa, was bei der Berichterstattung in multiethnischen Gesellschaften zu beachten ist. Interkulturelle Kompetenz als Handwerkszeug für Journalisten

Kann der Journalist gleichzeitig interkultureller Mediator sein?

von EVA KELLER

Schoßhund oder Kampfhund: diese Rolle spielten die Medien auf dem Balkan vor und während der Kriege, die dort 1991 entflammten. So erklärten sich beispielsweise die meisten serbischen Zeitungen und Fernsehsender ausdrücklich mit dem Serbenführer Slobodan Milošević einig, überall im zerfallenen Jugoslawien machten die Medien Stimmung gegen Angehörige anderer Ethnien und politisch Andersdenkende. „Das Ideal – Medien als Wachhund – war hingegen nirgends zu finden“, sagt Hartmut Schröder, der den Fernstudiengang „Medien und Interkulturelle Kommunikation“ am Südosteuropäischen Medienzentrum (SOEMZ) in Sofia wissenschaftlich leitet.

Schröders Hauptsitz ist Frankfurt (Oder), wo er an der Europa-Universität Viadrina einen Lehrstuhl für Sprachwissenschaften innehat. Gemeinsam mit den Kollegen vom Zentrum für Internationales und Weiterbildung (ZIW) entwickelte er dort den neuartigen Studiengang, der Journalisten für den Umgang mit Sprache in multiethnischen Gesellschaften sensibilisieren und sie zum „Mediator“ ausbilden soll. Neben Kommunikations- und Medienwissenschaften stehen die Fächer Interkulturelle Kommunikation, Friedens- und Konfliktforschung und Medienrecht und -ökonomie auf dem Lehrplan. Denn dass Nähe und Kontakt nicht automatisch gegenseitige Toleranz fördern, war im früheren Vielvölkerstaat Jugoslawien allzu deutlich geworden.

Die Medien waren gefragt – auch aus Sicht der Politik: „Dauerhafte Friedenssicherung kann nur funktionieren, wenn die Medien ihren Beitrag leisten“, stellten die EU-Außenminister auf einem Treffen im Jahr 1999 fest, auf dem sie den Stabilitätspakt für Südosteuropa berieten. Im April 2001 konnte das SOEMZ als gemeinsame Einrichtung der Europa-Universität Viadrina und der St.-Kliment-Ohridski-Universität Sofia öffnen – finanziert wird es vom Auswärtigen Amt und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) aus Mitteln des Stabilitätspakts.

Der Studiengang startete auf Basis von Annahmen; die Belege liefern nun die Studenten: So wertet eine kroatische Studentin für ihre Abschlussarbeit Archivmaterial aus, um nachzuweisen, wie sich die gegenseitige Berichterstattung der Serben und Kroaten schleichend veränderte: Anfangs neutral, wurden die anderen bald als Sonderlinge dargestellt und schließlich mit gehässigen Worten beschimpft. Ein anderes Beispiel der Medienbeobachtung: Während die Gräueltaten der Gegner in allen blutigen Details geschildert werden, verkauft man eigene Grausamkeiten als Heldentat.

Lügen und Hetze – das war auch das Programm des Nachrichtensprechers Risto Djogo, über den in Sarajevo folgender Witz kursierte: „Was würdest du machen, wenn du Karadžić in die Hände bekämst? Ich würde ihn gegen Risto Djogo (damaliger Moderator der Pale-Hauptnachrichten) austauschen.“ Eldina Jasarević, die den Witz erzählt, hat die Zeit des Kriegs in Sarajevo verbracht. Seit 1992 ist sie dort ARD-Mitarbeiterin. Interkulturelle Kompetenz ist für Jasarević die Grundlage objektiver Berichterstattung – und war ihre Motivation, sich beim SOEMZ einzuschreiben.

Postgraduierte aus allen Ländern Südosteuropas und der Europäischen Union können sich um die 25 Plätze pro Semester bewerben. Die Teilnehmer – bislang sind Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, das Kosovo, Mazedonien, Moldawien, Russland und Rumänien vertreten – müssen Deutsch sprechen. Die meisten der 15 Dozenten kommen von deutschen Universitäten, die Skripte sind ebenfalls in Deutsch. Das dreisemestrige, berufsbegleitende Studium, das mit einem bulgarischen und einem deutschen Mastertitel abschließt, ist in Fernstudium und Präsenzphasen unterteilt. Jede Woche erhalten die Studenten per Internet einen „Studienbrief“ mit Aufgaben, die sie zu bestimmten Fristen an die Lehrenden zurückschicken müssen.

Zum Auftakt jedes Semesters kommen die Studenten für drei Wochen nach Sofia, wo sie in die Fächer eingeführt bzw. darin geprüft werden. Das SOEMZ will einerseits Terminologie und Fragestellungen aus Kommunikations- und Medienwissenschaften, Interkultureller Kommunikation, Friedens- und Konfliktforschung und Südosteuropastudien vermitteln und Methoden zur Analyse von Texten, Diskursen und Konflikten lehren. Darüber hinaus sollen die Studenten lernen, Aufgaben, Arbeitsweisen, Ziele und Wirkungen der Medien kritisch zu reflektieren. „Wir sind eine akademische Einrichtung und vermitteln Theorie. Unsere Aufgabe ist es nicht, den Studenten die bessere Kameraführung und die elegantere Schreibe beizubringen“, erläutert Schröder.

Für praktische Arbeit steht den Studenten das Zentrum zur Fort- und Weiterbildung von Journalisten offen, das Deutsche Welle und ZDF gemeinsam mit dem bulgarischen Media Development Center in Sofia aufgebaut haben.

Die dreiwöchigen Präsenzphasen haben über den reinen Wissensaustausch hinaus Bedeutung: „Für mich ist das eine einmalige Chance, zusammen mit Bulgaren, Rumänen, Griechen und Rumänen an einem Tisch zu sitzen“, sagt Eldina Jasarević. „Wir haben festgestellt, dass wir als unterentwickelte europäische Region alle nach Westen streben – und voneinander sehr wenig wissen und die Menschen vergessen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.“ Auch hier haben die Medien aus der Region offenbar versagt, wie ein Streit zwischen Studenten aus der Republik Mazedonien und Griechisch-Makedonien zeigte: „Als wir darüber diskutierten, warum die griechischen Medien die Republik Mazedonien nur ‚Fyrom‘ nennen, saßen die Bosnier verständnislos daneben: Sie hatten noch nie von dem griechischen Teil Mazedoniens gehört“, erinnert sich Antonio Polychronakis.

Wichtig sind diese Treffen auch, weil sie die Studenten in ihrem Tun bestärken. Oft stehen sie in den Heimatredaktionen mit dem Willen, Arbeitsweisen und Berichterstattung zu verändern, allein da. Weil Unterhaltung dort oft wichtiger ist als Qualitätsjournalismus. Und weil in Verlagen und Redaktionen noch einige Altlasten sitzen – aus früheren Parteiblättern.

Da zudem ein Ehrenkodex für Journalisten meist nur ansatzweise vorhanden ist, liegt dem SOEMZ umso mehr daran, die Studenten in Medienrecht fit zu machen: Sie sollen wissen, welche Rechte sie gegenüber Arbeitgebern und Regierungen haben.

Aber können 25 Studenten pro Jahrgang die Medienlandschaft in Südosteuropa verbessern? „Die Rechnung geht auf“, meint Hartmut Schröder: „Diese Leute sind Multiplikatoren in ihren Länden und halten Kontakt nach draußen.“ Erste Erfolge gibt es bereits: So berichten ein Albaner und ein Grieche regelmäßig für die Zeitung des anderen, eine Russin schildert in ihrer Heimatzeitung ihre Eindrücke aus Sofia.

Der Journalist als „interkultureller Mediator“: Deutsche Medienvertreter haben daran schon Kritik geübt: „Medien sind unabhängig und sollen objektiv berichten – ist Mediation ihre Aufgabe?“ Schröder hält die Umstände im ehemaligen Jugoslawien und die Praxis dagegen: „Wie verhält es sich bei einem Artikel über den Völkermord? Soll der die Täter benennen oder nicht?“ Die Rechtfertigung für diese Rollenzuschreibung werde umso leichter fallen, je besser die Studenten nachweisen, was in den Medien auf dem Balkan falsch gelaufen ist.“

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