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Lachen über Ungers?

Im September ist es wieder so weit. Zum achten Mal wird der „BDA-Preis Bremen“` für vorbildliche Bauten im Lande Bremen vergeben/ Die taz blickt auf die bisherigen Preisträger zurück / Heimliches Leitthema 1994 (6): Architektur und Alltagswelt

Architektur als Lehre von der Kraft geometrischer Grundformen

Dürfen die das, Spaß haben, die Jury-Herren vom BDA-Preis? Stehen sie tatsächlich da vor dem Bremer Institut für Betriebstechnik und angewandte Arbeitswissenschaft (BIBA), das Oswald Mathias Ungers im Technologiepark neben dem Fallturm bauen ließ. Und können ihre Erheiterung über den späteren Preisträgerbau nicht verbergen.

Zumindest ist es so dokumentiert auf Seite 8 im Katalog zum BDA-Preis 1994. Lachen über einen Ungers – geht das überhaupt?

Bei einem Architekten, der eine so strenge Formensprache entwickelt hat?

Ungers orientiert sich an den ewig gültigen Gesetzen der Architektur, etwa an der Kraft geometrischer Grundformen. „Kreis, Quadrat, Ellipse, Kegel und Kubus“, hat der Kölner Architekt einmal gesagt, „liefern das formale Repertoire zur Verwandlung von der natürlichen Realität in geistige Sinnbilder“.

Dahinter steht der nicht gerade unbescheidene Anspruch, durch die perfekte Form die Ordnung der Welt darzustellen. Erhabenheit pur also.

Beim BIBA besteht der Baukörper aus einem zweigeschossigen Kubus, der einen höheren Zylinder umschließt. Die Form wirkt perfekt, obwohl bis heute nur der erste Bauabschnitt steht, der aus dem Zylinder – einer Halle für praktische Versuche – einen sauber geschnittenen Halbzylinder macht.

Doch kann man den Ungersschen Formenperfektionismus auch als penetrant empfinden. Bei zu viel Ordnung bekommt das Auge schon mal Lust auf Ungereimtheiten.

So ist wohl auch die entspannte Heiterkeit der Juroren zu verstehen, als sie bemerkt hatten, dass ein paar Details ,,das strenge Konzept verlassen“, wie man in der Beurteilung nachlesen kann – die drei Eingangstüren etwa, die jeweils mit einer anderen Klinke zu öffnen sind.

An diesem Beispiel zeigt sich ein alter Konflikt der Architektur. Wie weit soll sie auf die Alltagswelt als Ordnungsmacht und Orientierungshilfe einwirken? Und: Kann sie das überhaupt?

Darüber war sich auch die Jury nicht sicher. „Es könnte sein“, heißt es in der Beurteilung des ebenfalls preisgekrönten neuen Arbeitsamtes in Bremerhaven von dem Hamburger Büro Schweger und Partner, „dass dieses Haus die Depressionen, denen Arbeitslose sich ausgesetzt fühlen, mildert“.

Es könnte aber genauso gut sein, dass der schnittige Baukörper keineswegs darüber hinwegtröstet, dass an diesem Ort Rickmers bis 1986 Schiffe baute und der Konkurs mehr als 1000 Arbeitsplätze kostete. Ein schickes neues Arbeitsamt an dieser Stelle wurde von nicht wenigen als zynisch empfunden.

Etwas leichter mit Fragen an die architektonische Form hatten es Bauten, die sich an bereits Bestehendes anschmiegen konnten: Die preisgekrönte Erweiterung des Gerhard Marcks-Hauses von Peter Schnorrenberger beispielsweise, die eine wunderbare Sichtverbindung zum Wallgraben schuf.

Oder die Umnutzung des Remmers-Brauerei-Areals durch Neu- und Umbauten von Schomers, Schürmann, Stridde, die vor allem ihrer städtebaulichen Qualitäten wegen ausgezeichnet wurde. Der Nachteil solchen Bauens im Bestand (falls es denn einer ist): Die Architekten haben wenig Möglichkeiten, eigene formale Akzente zu setzen.

Der etwas seltsame gläserne Turmfortsatz mit Krempe auf dem überwiegend von der Städtischen Galerie genutzten Remmersgemäuer ist ein solcher Akzentuierungsversuch. Die angrenzende neu gebaute Wohnanlage für ältere Menschen gibt sich zurückhaltend.

Lediglich mit der Innenfassade der zentralen Treppenhalle leisteten sich die Architekten eine große Geste in neorationalistischer Manier.

Trotz der vier respektablen Preise scheint sich die Jury nicht ganz ausgelastet gefühlt zu haben.

So bedauerten es die drei Herren, dass Thomas Klumpp sein 1992 fertiggestelltes, Aufsehen erregendes Congress Centrum nicht eingereicht hatte. Gern hätte man sich ,,über diesen jedenfalls ungewöhnlichen Bau“ (kontrovers?) gestritten.

Eberhard Syring

Die nächste Folge dieser Serie (erscheint am kommenden Dienstag)behandelt den vorerst letzten BDA-Preis. 1998 standen Außenseiter im Vordergrund. Außerdem ging es um eine (mitunter befragenswerte) Universalwaffe der Architekturmoderne: Transparenz.

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