piwik no script img

Immer neue Millionen

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zahlt ersten 15.000-Euro-Hilfe-Scheck aus. Betroffene: Weitere schnelle Hilfe nötig. Ämter kämpfen mir Formularen. Greenpeace misst Gift im Schlamm

von NICK REIMER

Wenn es um die Hochwasserschäden geht, hört man aus Sachsen jetzt oft: „Höher als erwartet“. Zum Beispiel im Landkreis Meißen. Nach einer vorläufigen Erhebung des Landratsamtes wurden allein Straßen und Brücken im Wert von 21 Millionen Euro zerstört. Für das abgesoffene Klärwerk Zadel veranschlagen die Experten jetzt sogar 36 Millionen Euro. Zum Beispiel Döbeln mit seinen 27.000 Einwohnern: 645 Gebäude sind zerstört oder beschädigt, 28 müssen voraussichtlich abgerissen werden. Schäden an öffentlichen Gebäuden: etwa 9 Millionen Euro. Schäden an öffentlicher Infrastruktur: rund 35 Millionen Euro. Schäden bei Privathaushalten: ungefähr 40 Millionen Euro. Und Handel und Gewerbe beklagen 70 Millionen Verlust.

Angesichts solcher Bilanzen kam in den betroffenen Gebieten keinerlei Euphorie auf, als Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) medienwirksam den ersten Scheck über 15.000 Euro Soforthilfe überreichte – und damit das Bundeshilfsprogramm startete. Im Sachsen-Anhalter Schönebeck drückte Müller Gastwirt Otto Töffels das Papier in die Hand. Die Wassermassen zerstörten Töffels Kulturhaus „Brauner Hirsch“. Doch nicht einmal bei dem wollte sich die erhoffte Euphorie einstellen. Töffels: „Nur wenn ich in den nächsten Tagen weitere Hilfen bekomme, habe ich eine Chance, meine Existenz zu erhalten.“

Insgesamt stellt der Bund nach Angaben des Wirtschaftsministeriums für Soforthilfen an Privathaushalte, Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe sowie für weitere kurzfristige Hilfen knapp 2 Milliarden Euro bereit. Das gesamte Hilfspaket, das durch Mittel der EU ergänzt wird, beläuft sich auf rund 10 Milliarden Euro. Die durch die Hochwasserkatastrophe angerichteten Schäden liegen nach ersten Hochrechnungen jedoch weit darüber. Das am schwersten betroffene Land Sachsen rechnet mit Schäden in seinem Bundesland von rund 16 Milliarden Euro und geht für Deutschland von einem Gesamtschaden von mindestens 20 Milliarden Euro aus.

Auch im Freistaat wurden erste Soforthilfen für Firmen bewilligt. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (ebenfalls parteilos, jedoch auf CDU-Ticket ins Amt gekommen) sagte: „Wir freuen uns, dass das erste Geld da ist.“ Die Soforthilfe entspreche allerdings lediglich rund 5 Prozent der tatsächlichen Schadenssumme. Gillo forderte Bund und Länder erneut zu einer Zusage über die Begleichung von 70 bis 80 Prozent der den Firmen entstandenen Schäden auf –ähnlich wie nach der Flutkatastrophe von Hamburg im Jahr 1962.

Während Gillo Optimismus zu verbreiten suchte, sieht die freistaatliche Wirklichkeit allerdings anders aus. „Ausgezahlt wird gar nichts“, sagte Silvia Thiemer, Leiterin der Abteilung Wirtschaftsförderung beim Landratsamt Pirna. Man schlage sich vielmehr mit gerade erst eingetroffenen Antragsformularen herum. Versuche, das Durcheinander von Bestimmungen in den Griff zu bekommen. Warte auf Förderrichtlinien.

Immerhin ist Pirna gänzlich vom Schlamm geräumt. Immerhin gibt es wieder provisorische Einkaufsmöglichkeiten. Darum, dass nicht irgendwelcher Optimismus aufkommt, kümmerte sich in der Nacht zu gestern aber der Regengott persönlich: Gewittergüsse sorgten dafür, dass die gerade ausgepumpten Keller wieder vollliefen.

Greenpeace hat unterdessen in Dresden, Meißen und Scharfenberg die zurückgebliebenen Schlammmassen auf Gifte gemessen. Ergebnis: In Dresden sind so viele Schwermetalle – vor allem Quecksilber und Arsen – im Schlamm, dass eine Bodensanierung notwendig wäre. Die Umweltschutzorganisation forderte flächendeckende Tests durch die Behörden nach der Reinigung. (mit rtr)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen