: Etwas anderer Folk
Der Mann, der nicht Nein sagen kann: Matt Everett huldigt heute in der Astra- Stube dem Genre ohne Schrammelgitarren und alte Exaltiertheiten – unterstützt durch „Fern Knight“ und ihren Folk-Noir
Vorsichtig wird eine Gitarrensaite angeschlagen. Der Resonanzkörper des Instruments macht den Ton zum Klang. Was kann ein Gitarrenakkord heute noch anrichten? Immerhin: In der Astra-Stube wird‘s mucksmäuschenstill sein, wenn Matt Everett die Finger auf die Saiten drückt, seine Brille zurechtrückt – und anfängt zu spielen.
Von einer neuen Folk-Welle ist seit einiger Zeit zu hören, die irgendwie ganz anders sein soll als alles bisher Dagewesene. Doch Moldy Peaches, Jeffrey Lewis, Will Oldham und Co. machen keinen „Anti-Folk“. Einfach mal zuhören. Und sich erinnern an die frühen Neunziger: Da wurde so eine Musik „Neo-Folk“ genannt, doch „Neo“ und „Anti“ klingen irgendwie ganz ähnlich.
Matt Everett ist aber doch ein bisschen anders: Schrammelgitarren und alle Exaltiertheiten müssen draußen bleiben und auch der schnelle, gespielte Witz: Ernst geht der Mann mit Gitarre, Akkordeon, Viola, Klavier und Mandoline zur Sache. Deshalb hat er sein neues, demnächst erscheinendes Album auch der schönen Tochter des Henkers gewidmet. Nur für sie rutscht er auf The Hangman‘s Daughter mit dem Bottleneck über die Saiten, singt mit Elvis-Costello-Zittern in der Stimme von seiner ersten Liebe, vom fallenden Schnee – und erzählt von dem bedauernswerten Mann, der einfach nicht Nein sagen kann.
Kaum zu glauben, doch noch filigraner tun es die Multiinstrumentalisten Margie Wienk und Michael Corcoran alias Fern Knight auf der Bühne: Folk-Noir mit hohem Spukfaktor aus den Wäldern von Providence, unendlich einsamer Seidenpapiergesang, noch düsterer und trauriger als Matt Everett, dazu noch mit dem Bluesteufel im Nacken. Begleitend sägt sich ein leidendes Cello durch die Ohren mitten ins Herz. Wer ausgerechnet jetzt – „Entschuldigung, kann ich mal vorbei?“ – ein Bier bestellt, redet oder die Toilettentür zuschlägt ist ein Stoffel und soll 7 Jahre und 7 Monate mit dem Teufel alleine bleiben. Marc Peschke
heute, 21.30 Uhr, Astra-Stube
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen