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: HELMUT HÖGE über „68“

Uwe Wesels Geschichte der Studentenbewegung

Als ich erfuhr, dass Uwe Wesel ein Buch über „68“ schreibt, winkte ich gleich ab: noch eins? Überdies schien er mir viel zu sehr von den gewalttätigen Aspekten dieser Bewegung geschockt oder fasziniert gewesen zu sein. Einmal, 1974, hatte ich ihn in der TU aus einer Versammlung mit Maoisten, unter anderen vom KSV, kommen sehen: Die ganze Zeit sagte er immer nur fassungslos: „Die sind mit Eisenstangen aufeinander losgegangen!“ Das nächste Mal, 1988, sah ich ihn in der Kreuzberger Feuerwache auf einer Veranstaltung der Grünen – gegen die Gewalt der Autonomen im Kiez. Eine überflüssige Veranstaltung, auf der er wegen seiner neuen Freundin auffiel.

Sein jetzt erschienenes Buch heißt „Die verspielte Revolution“ – und deswegen habe ich es mir sofort gekauft, denn zu diesem Schluss bin ich auch irgendwann gekommen. Abgesehen von einem harten SDS-Kern (von Dutschke und Semler über Ines Lehmann und Hans-Dieter Heilmann bis zu sonstwem) waren wir ab der dritten Reihe zwar fanatisch, aber nicht ernsthaft genug. Ich selbst bereue jedenfalls inzwischen meine Witzchen und Scharaden.

Merkwürdig ist nun, dass Wesel in seiner Darstellung des SDS und was daraus wurde die ernsthaften Ansätze ebenfalls ignoriert: die Basisgruppen Wedding und Moabit beispielsweise und das Kreuzberger Straßentheater bis zur Georg-von-Rauchhaus-Besetzung und, und, und. Stattdessen werden die medialen Highlights noch einmal nachrecherchiert und knapp bis cool eingeschätzt, wobei auch hier wieder einiges unter den Tisch fällt: bei der Bewegung 2. Juni beispielsweise der Unterschied zwischen der ernsthaften Inge Viett und dem eher medial inspirierten Till Meyer, der dann auch folgerichtig Spiegel-TV-Journalist wurde.

Wenn gesagt worden ist, dass der Vietnamkrieg der erste Medienkrieg war – der als solcher dann auch vom Pentagon verloren wurde, dann sollten wir uns auch fragen, ob dieselben Medien nicht auch der Linken das Wasser abgegraben haben.

Herbert Nagel, von der Münchner Gruppe Spur zum Frankfurter SDS gekommen, hat beizeiten schon zu bedenken gegeben, dass sie gleich nach ihren Straßenschlachten – im Kettenhofweg zum Beispiel – nach Hause eilten, um sich im Fernsehen anzukucken, wie sie gewesen bzw. wie gut sie dabei rübergekommen waren.

Davor hatte es schon komisch gewirkt, wie Dutschke von Spiegel, Stern etc. zum Star gemacht wurde – und dann auch Cohn-Bendit, der nach dem Mai 68 gleich einen Vertrag bei Rowohlt (die sich fortan auf jede Diskurs-Konjunktur schmissen) bekam. Später spielte er noch in einem berühmten Italowestern mit.

Natürlich behielten sie das Honorar nicht für sich, aber wenn man bedenkt, dass kurz zuvor in einem förmlichen SDS-Beschluss über Raubdrucker noch festgehalten worden war, dass ihnen mäßige Profite erlaubt seien, dann tat sich da eine üble Differenz zwischen (prominenten) Kopf- und (anonymen) Handarbeitern auf, die es gerade zu problematisieren galt. Die Autoritäten der antiautoritären Bewegung und ihr Auflagendruck! Ihre Aufspaltung dann in konkurrierende Sekten (mit Stahlrohren) war geradezu befreiend.

Inzwischen heißen übrigens viele Schwulenkneipen „Stahlrohr“ – das aber nur nebenbei.

Daneben hat sich die einstige Prominenz derart medial verselbstständigt, dass viele Neuprominente sich als „ehemalige 68er“ bezeichnen, obwohl sie damit überhaupt nichts zu tun hatten beziehungsweise damals sogar eher dagegen aktiv geworden waren.

Auf der anderen Seite sind die wahren Träger der Bewegung mittlerweile völlig „verschwunden“, weil sie nicht im Mediengeschäft sind und den dort jetzt Beschäftigten unbekannt geworden – bis auf einige wenige, die ihre Rezensionsmappen pflegen und gelegentlich aktualisieren.

Uwe Wesel zeichnet sehr schön nach, wie und was die Linke alles von Amerika übernahm. Dort wird jedoch die Gesellschaft wesentlich über die Medien zusammengehalten und formiert, während es hier eher eine solide Solidarität gegen die Obrigkeit ist, zu der im Zweifelsfall auch immer die Medien gehören (Lex taz).

Deswegen gab es hier auch immer wieder Versuche, die aufdringliche Journaille außen vor zu lassen. Wesel kennt so etwas nur als Geheimbesprechung, er steht als Juraprofessor und FU-Vizepräsident in der Tradition des kritischen Intellektuellen, dessen Ursprünge bis auf Voltaire zurückreichen und der dann vor allem von gebildeten Juristen verkörpert wurde.

Dementsprechend sieht er wahrscheinlich in der Entwicklung vom Theater über den Hörsaal und den Gerichtssaal bis zum SFB und dem Internet einen Fortschritt an Öffentlichkeit. Es ist jedoch auch eine Falle – für lebendige Beziehungen. Rousseau wollte noch das Theater verbieten, weil es die Bürger zur Lüge erzieht, ich hätte immer gerne die Juristen ausgeschlossen.

Die juristische Durchregelung einer Gesellschaft ist für mich die totale Bankrotterklärung. Uwe Wesels Buch, das ich mit Gewinn gelesen habe, gibt mir da in gewisser Weise Recht. Es ist übrigens für Jurastudenten im weitesten Sinne geschrieben, die sich inzwischen aber ganz anders amerikanisieren.