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Wie vom anderen Stern

Allerbeste Hände für eine provokante Komposition: John Elliot Gardener mit Händels Pastoral-Ode im Verdener Dom

In Georg Friedrich Händels „Pastoral-Ode“, so die seltsame und seltene Gattungsbezeichnung, gibt es eine Lach-Arie, bei deren Uraufführung 1740 die königliche Familie und das Publikum so gelacht haben sollen, dass die Nummer wiederholt werden musste.

Die Episode zeigt, wie provokant und innovativ Händels Komposition war. Und es ist in der Tat unglaublich, was der Komponist sich gegen alle Regeln der Dramaturgie leistet.

Zum Beispiel: Unter dem Titel „L‘Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ montiert Händel tatsächlich zwei Stimmungsmacher, den Fröhlichen und den Nachdenklichen, in einer Arie nach der anderen nebeneinander. Es passiert nichts. Außer dass der Fröhliche sagt, es sei alles ganz toll und der Nachdenkliche, es sei alles ganz furchtbar. Aber mit welcher Musik Händel diese immergleichen Grundstimmungen versieht, lässt zum Beispiel auch verstehen, dass das Werk zu seinen Lebzeiten eines seiner beliebtesten war.

Was der französische Musikschriftsteller aus dem neunzehnten Jahrhundert Victor Schoelcher sagte, dass es nämlich „aller Kühnheit des Genies bedurfte, um sich an ein so ausnehmend undramatisches Subjekt zu wagen“, gilt natürlich auch für die Interpretation. Und die war bei der Aufführung des Musikfestes im völlig ausverkauften Verdener Dom bei John Eliot Gardiner in allerbesten Händen.

Es ist schwer beschreiblich, was die English Baroque Soloists nach anfänglichen leichten Koordinierungsschwierigkeiten für die Naturbeschreibungen wie den aufgehenden Mond, die Morgendämmerung, die Lerche und die Nachtigall, die Jagd, einen Dorftanz oder den Krach der Großstadt an instrumentaler Virtuosität und Klangzauber aufbringen.

Die Leuchtkraft des Monteverdi Choirs bis in den Pianissimobereich hinein ist bekannt und immer wieder ein Genuss.Und eine schöne Sitte, die sich in der historischen Aufführungspraxis zum Teil durchgesetzt hat, ist das Mitsingen der SolistInnen im Chor oder umgekehrt das Heraustreten aus dem Chor für die Soli. Bedeutend, mit welcher Homogenität und Klangschönheit das an diesem Abend in der heiklen Akustik des Verdener Domes abging: Katherine Fuge, Angharad Gruffyd Jones, Joanne Lunn, Margeret Cameron, James Gilchrist und Michael Mc Carthy, alles Stimmen wie von einem anderen Stern.

Ein kleiner Schönheitsfehler war, dass, entgegen der Ankündigung, der dritte Teil – ,,Il Moderato“, der sagt, man solle doch weder die Traurigkeit noch die Freude so hoch hängen, sondern den beruhigenden Mittelweg wählen – einfach nicht gemacht wurde; nicht ganz verständlich, dass man einem Stück, dass eine so begrenzte Theatralik hat, auch noch die winzige, die noch da ist, abkappt.

Und mit der Mitteilung von Texten tut sich das Musikfest allerdings anhaltend schwer: diesmal englischer Text ohne Übersetzung, nicht lesbar in der abgedunkelten Kirche. Und trotzdem: Begeisterter Beifall.

Ute Schalz-Laurenze

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