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Nachdenken über Vera L.

In ihrer jüngst erschienenen Autobiografie enthüllt die CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld Unglaubliches über die Autoren des Romans „Der Barbier von Bebra“

Wiglaf Droste und Gerhard Henschel sind laut Lengsfeld Bürger der DDR gewesen

Vielleicht erinnern sich die Leser dieser Zeitung noch an den kleinen Schundroman „Der Barbier von Bebra“, den Wiglaf Droste und Gerhard Henschel vor sechs Jahren veröffentlichten, zuerst in Auszügen hier auf der Wahrheitseite, anschließend in der Edition Nautilus? Im August 1996 drangen Vera Lengsfeld und Konrad Weiß in die Redaktion der taz ein und verlangten kategorisch und erpresserisch die sofortige Beendigung des Vorabdrucks der, wie sie behaupteten, „literarischen Anleitungen zum Mord“ – ansonsten würden sie zu einem groß angelegten Boykott der taz aufrufen. Nachdem die Redaktion die beiden damals noch grünen Bundestagsabgeordneten auf ihr etwas seltsames Verständnis von Pressefreiheit hin- und ihre absurde Forderung zurückwies, lief Konrad Weiß zur Welt am Sonntag und schrieb dort über ein angeblich „unfassbares Machwerk faschistoiden Charakters“, denn es muss schon mindestens -oid sein, wenn einem humorfreien Deutschen etwas nicht passt. Über Droste und Henschel behauptete Weiß: „Leute wie sie verspotten und würden, wenn es risikolos ist, auch bespeien und foltern.“ Die Autoren ließen ihm das verleumderische Gejengel gnädig durchgehen und sagten milde: Woher der Herr Weiß das weiß, das weiß nur der Herr Weiß. Und damit war es dann auch gut.

Nun aber, nach Jahren offenbar nur trügerischer Ruhe, hat Frau Lengsfeld in selber Sache erneut zugeschlagen, in ihrer just erschienenen Autobiografe „Von nun an ging’s bergauf … Mein Weg zur Freiheit“ (Langen Müller, München 2002) schreibt sie (S. 97 f.): „So produzierten zwei Autoren, die in der DDR zu der Kategorie der Honecker-Preisträger gehört hatten und die das Verschwinden ihrer DDR-Privilegien nie verkraften konnten, ein Machwerk unter dem Titel ‚Der Barbier von Bebra‘, in dem sie ihre post-traumatischen Vernichtungsfantasien auslebten … Sie sparten auch nicht mit widerwärtigen Attributen bei der Beschreibung von Personen. Da wurde nichts ausgelassen, was an Ungeziefer, Lebensunwertes, Gesindel erinnerte. Sie hätten für den ‚Angriff‘ schreiben können.“ Der Angriff war die Zeitung für die Angehörigen der Waffen-SS – und Langen Müller gehört pikanterweise zur rechtsextremen Fleißner-Verlagsgruppe.

Droste und Henschel gehörten also zur Kategorie der Honecker-Preisträger? Und auch die andere Tatsachenbehauptung soll wahr sein, dass beide das Verschwinden ihrer DDR-Privilegien nicht verkraften konnten? Davon abgesehen, dass beide niemals Bürger der DDR waren – was wären denn DDR-Privilegien gewesen? Eine private Letscho-Leitung frei Haus? Würzfleisch-Deputate? Rosenthaler Kadarka ad libitum? Gemeinsames kon- und transpiratives Dissidieren mit Vera Lengsfeld und Konrad Weiß? Klandestine Lyrikseminare bei Lutz Rathenow? Und der Honecker-Preis – wie hätte er ausgesehen, hätte es ihn je gegeben? Hätte Erich Honecker sein Hütchen hergeschenkt? Wir wissen es nicht – alles wirklich Wissenswerte über Vera Lengsfeld aber weiß ein Autor mit dem Kürzel W. S. in der Ostthüringischen Zeitung vom 5. August 2002:

„Wenn Vera Lengsfeld auf den Hund kommt, dann gleich richtig: Vor einigen Tagen erwarb die CDU-Bundestagsabgeordnete den Hundeführerschein bei Thomas Kümmel, Inhaber einer Hundeschule in Weimar-Schöndorf. ‚Vera Lengsfeld ist theoretisch und praktisch für den Umgang mit Hunden fit‘, bescheinigte ihr der Hundetrainer. Lengsfeld (50) und ihre Söhne Jonas (17) und Jakob (19) hatten drei Wochen lang den richtigen Umgang mit der einjährigen Labrador-Retriever-Hündin trainiert. ‚Das ist ein ganz liebenswertes Tier‘, meinte der Hundeexperte hinterher. Dass die praktische Prüfung – ein Spaziergang durch Weimar – gelang, ist umso erstaunlicher, da die Hündin unterschiedlich gerufen wird. Lengsfeld nennt sie ‚Amy‘, ihre Söhne aber sagen ‚Angie‘. Wegen des ‚engelsgleichen Charakters‘. Doppelnamen sind ja bei emanzipierten Frauen nichts Ungewöhnliches. Warum also nicht auch bei emanzipierten und doch gehorsamen Hunden: Amy-Angie, das klingt doch. Der Bundestag bleibt dem schönen Tier erspart. Wenn Frauchen dort sitzt, wird die Hündin von Sohn Jonas auf dem heimischen Grundstück in Sondershausen betreut. Denn angesichts der Streitereien auf den Abgeordnetenbänken könnte es ja sein, dass ‚Amy-Angie‘ doch ihren engelsgleichen Charakter verliert.“

Amy-Angie – ist es nicht süß? Sollte nicht das Leben der Vera Lengsfeld, frühere Wollenberger, noch frühere Kleinschmidt, verfilmt werden, unter dem Titel „Nachdenken über Vera L.“? Und ist nicht vor allem die Aussicht verlockend, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld und ihr Münchner Verleger Dr. Herbert Fleißner sich demnächst wegen allerlei juristischer Folgen aus Wut über die eigene Dummheit wechselseitig in die Hintern beißen werden? Doch, das ist sie. GISELA GÜZEL

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