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Die Wirtschaft stellt die Avantgarde

Ökonomisierung des Theaters: Der Rauswurf Christoph Marthalers weist über die Züricher Kulturpolitik hinaus

Man könnte jetzt mit Infografiken hantieren, wer welche Freundschaften, Verwandtschaften und vor allem persönliche Antipathien dazu benutzt hat, Christoph Marthaler noch vor seiner dritten Spielzeit im Schauspielhaus Zürich abzusägen. Man würde aufzeigen, dass das Boulevard-Verlagshaus Ringier mit Ellen Ringier im Verwaltungsrat sitzt; dass der eben in seiner Macht gestutzte Ringier-Publizist Frank A. Meyer den Berlin-Exilanten Claus Peymann als Nachfolger ins Spiel bringen will; dass die scharfe Feder eines Ringier-Blatt-Redakteurs ihre Schärfe aus einem Lehrer-Schüler-Verhältnis mit Marthalers Vorgänger und Schnarch-Intendanten Gerd Leo Kuck bezieht; und man muss immer auch (ein bisschen) für sich nicken, wenn der Verwaltungsrat den Ton der Chefdramaturgin Stefanie Carp schlecht verträgt – ihre reflexartigen Abgrenzungssalven gegen Stadt und Land zeugten selten von jenem Scharfsinn, den ihre künstlerische, stets politische Arbeit sonst nie vermissen lässt. Und selbstverständlich würde man die Aasgeier nennen, die sich bereits für den Chefposten bewarben – allerdings nimmt diese eiligen Bewerbungen nicht einmal der Verwaltungsrat ernst.

Christoph Marthaler wurde vom ehemaligen Stadtpräsidenten Josef Estermann nach Zürich geholt, um das Schauspielhaus in einen Leuchtturm umzubauen. Man hat sich offenbar nicht einigen können, was ein Leuchtturm ist. Ein von Kritikerlob gefeiertes Haus, das in die weite Welt strahlt? Oder ein volles Haus? Beides war nicht ganz zu haben. Die neu gebauten Spielstätten im Schiffbau verzeichneten in den letzten zwei Spielzeiten eine gute Auslastung, der angestammte Pfauen aber sackte ein, und die Abonnements gingen über die Hälfte zurück. Hinzu kamen Baukostenüberschreitungen, viele verschobene Vorstellungen in der ersten Saison und klar: ein Theater, das Zürich in dieser Avanciertheit und Breite noch nicht gesehen hatte. Nicht seit der Intendant Peter Löffler, der wegen dem kurz später zum Star aufgestiegenen Peter Stein 1970 den Hut nehmen musste. Das Schauspielhaus hat erst im Juni dieses Jahres eine Volksabstimmung über drei Kredite gewonnen, der Spielplan für die erst Ende Oktober beginnende dritte Runde zeugt unschwer von harten Kompromissen. Die Kündigung ist die Wiederholung der Blamage von 1970, sie ist die wiederkehrende Tragödie, seit Hegel heißt so was Farce.

Die Farce braucht ihre Spieler, ihre Helden und ihre Bösewichte. Sie sind bekannt. Aber leider kaum relevant. Die Farce kommt ohne feinsinnig psychologisches Spiel aus, sie ist aus Holz geschnitzt. Aber sie offenbart strukturelle Probleme, die weit über Zürich hinausweisen. Die städtische Kulturpolitik implementiert allerorts Modelle, die sie glaubt von der „Wirtschaft“ übernommen zu haben. Kultur ist ein Standortfaktor, ein Standort reklamiert nicht nur eine Art kollateralen Return on Investment (sprich: Aufwertung des Quartiers, der Stadt, des Images), ein Standort muss sich in dieser Logik auch selbst rentieren. Spezifisch für Zürich ist, dass das Schauspielhaus mit einem Drittel einen vergleichsweise horrend hohen Anteil der Kosten an der Kasse einspielen muss. Allgemein kenntlich ist aber die Tendenz, kulturelle Institutionen in ökonomische Redensarten zu packen. Es geht um das Verschwinden der öffentlichen Hand, um die massive Zunahme an privatem Sponsoring. Wer nun die Kunst nicht liefert, die ökonomische Plattformen (Kundentreffs, erweiterter Teil des Brandings) brauchen, wird es in Zukunft schwer haben.

Der Weg in diese Zukunft ist allerdings auch von komischen Schlenkern gesäumt, die diesen „Fortschritt“ selbst verhindern. Für das auch in Zürich beheimatete Theaterhaus Gessnerallee, eine mittlere Spielstätte für nationale wie internationale Koproduktionen des freien Theaters, plant ein Theaterrat zusammen mit der Stadt ein lächerlich aufgeblähtes, mehrteiliges Verwaltungsmodell, das nur von Verkomplizierung zeugt, aber Effizienz meint. Im städtisch geführten Helmhaus verhindert der neue Stadtpräsident Elmar Ledergerber eine Ausstellung von zwei Künstlern, die einen Scheck von 50.000 Franken verstecken wollten – die Summe hätte der FinderIn gehört. Ledergebers Antwort: Es werden nur 20.000 Franken versteckt! Ausstellung abgesagt. Weniger lustig ist dann, dass sich das Marthaler-feindliche Zürich mit Intendanten brüstet, die smart und weitgehend risikolos ihre Institutionen führen: Alexander Pereira im Opernhaus, Christoph Becker im Kunsthaus. Peymann würde also gut in dieses Zürich passen, das weit weg vom Einzelfall liegt. Weil es die Avantgarde der Kultur-Ökonomisierung eifrig mit Provinzialität paart. Marthaler ist nur ein weiterer Star-CEO, der schnell gefallen ist. Not only in Zürich. TOBI ZÜRICH

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