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„Ich will Deutschland“

Der Höhepunkt des CDU-Wahlkampfs in Bremen: Edmund Stoibers Auftritt in der tobenden Menge

„Ich will Deutschland“, rief Edmund Stoiber irgendwann, und es war nicht ganz klar, ob das einer seiner unvollendeten Sätze blieb oder schlicht sein allumfassender Wunsch. Das Publikum in der fast vollen Messehalle 6 war da längst begeistert. Das war es von Anfang an. Von den ersten Fanfaren des „Final Countdown“ und den Scheinwerferspots, in denen der Kanzlerkandidat der Union, bedrängt von Fotografen und Bodyguards, fast zierlich anmutend durch die klatschende Masse bugsiert wurde.

„Wenn ich Kanzler bin“, so der Mann aus dem Süden, „ist mein Gesamtinteresse Deutschland. Ich werde für bremische Interessen genauso kämpfen wie früher für bayerische Interessen.“ So viel zu Bremen, dieser „großartigen, traditionsreichen Stadt“, und zu den hiesigen Ängsten, ein Mann aus dem Süden habe nichts übrig für den Norden. Und 1.700 Arbeitsplätze hat er versprochen, mit dem neuen Militär-Airbus: „Der A 400 M wird unter meiner Verantwortung kommen. Das ist mein ganz bestimmtes Ziel.“ Womit Stoiber zumindest einmal konkret wurde – den Großteil seiner gut einstündigen Rede verbrachte er damit, die Bundesregierung zu geißeln. Standardsatz nach jedem Absatz: „Das werde ich ändern.“

Allem voran das „Urübel unserer zerrütteten Staatsfinanzen“: die Arbeitslosigkeit. Nicht nur, dass den Einzelnen ein „ungeheuer bitteres Schicksal“ ereile, mehr noch: Arbeitslose sind einfach zu teuer. „Ihr leistet euch mehr, als ihr leistet“, habe sein Freund, der spanische Ministerpräsident José Maria Aznar gesagt. Das hohe Niveau deutscher Sozialhilfe sei „oft Anziehungspunkt für viele ausländische Bürger“.

In dem Moment, so schien es, brach etwas auf, wurde der Beifall noch stärker, noch begeisterter. Genauso, als Stoiber zu einem „Treppenwitz“ kam, zu den Sozialhilfeempfängern nämlich, deren Gesundheitsversorgung, bezahlt von den Kommunen, besser sei als die „des kleinen Busfahrers, der Krankenschwester“ in den gesetzlichen Krankenversicherungen. Und erst recht bei Integration und Zuwanderung. „Wir wollen eine Begrenzung, keine Ausweitung.“ Schon klar. „Ausländerfeindlich? So’n Quatsch!“, rief der Bayer und erzählte von „Hamburger Chefredakteuren“, die angesichts seiner Vorstellungen „um Gottes willen“ sagten, sich vom Kandidaten aber fragen lassen müssten, wo sie denn wohnten. Natürlich in besseren Vierteln, „aber die Integration wird in den sozialen Brennpunkten geleistet“. Die hätten schon genug zu tun, das dürfe nicht noch mehr werden. Applaus, lang und vehement.

Protest gab es auch. Ein Trillerpfeifenkonzert sei, so beschwerten sich Demonstrierende, rüde abgebrochen worden. Stoiber-Gegner, die nach eigener Aussage „der anwesenden Öffentlichkeit ihr Gesäß“ präsentiert hatten, seien „zum Teil brutal“ rausgeschmissen, Menschen mit Dreadlocks und offenbar linker Gesinnung nicht hereingelassen worden. Im Polizeiprotokoll klingt das anders. „Ruhig“ sei der Abend verlaufen, eine Blockade der Ausgänge verhindert worden. Den anderen blieb das, was Stoiber einem jugendlichen Protestierer, der brüllend den Saal verließ, hinterherrief: „Das würde Ihnen so passen, über die Probleme Deutschlands nicht zu reden.“ Susanne Gieffers

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