: Nichts als Stimme
Eine Frau mit vielen Talenten und noch mehr Geheimnissen: Hope Sandoval und The Warm Intentions werden in der Passionskirche Musik nahezu zum Stillstand bringen
Hope Sandoval hat viele Talente. Sie kann einen Raum verstummen lassen allein durch ihre Anwesenheit. Sie kann Musik fast zum Stillstand bringen durch ihren Gesang. Sie kann einfach nur an einem Mikrofonständer geklammert dastehen, die Haare wirr im runden Gesicht, nichts weiter tun und ein Star sein.
Das alles kann Hope Sandoval, und das ist allerhand, aber singen kann sie eigentlich nicht. Was aber nicht weiter stört, weil ihr Nichtgesang, der nur wenige Töne umfasst und auf allerlei sonst so beliebten Zierrat verzichtet, genau passt zu der schwebenden, unwirklichen und melancholischen Musik, die sie spielt mit ihrer Band The Warm Intentions, die nicht umsonst so heißen. Der aufs Nötigste reduzierten Besetzung reicht meist ein spartanisches Gitarrezupfen, um nicht allzu sehr von dieser Stimme abzulenken, und dahinter versucht mitunter ein übervorsichtiges Schlagzeug nicht aufzufallen.
Das Schlagzeug wird betätigt von Colm O’Ciosoig, der sich früher einmal bei My Bloody Valentine des endlosen Schichtens von Lärmwänden mitschuldig gemacht hat. Aber: So überwältigend ist die ätherische Präsenz von Sandoval, dass selbst Musiker einer solch berüchtigten Noise-Combo in ihrer Gegenwart plötzlich zu Leisetretern mutieren. Die Frau ist betörend, aber auch ein wenig beängstigend. Wie eine Spinne knüpft Sandoval ihr Netz aus klebrigen Tönen und ohne zu wissen, was passiert, sollte man sich tatsächlich darin verfangen, hat man doch das sehr bestimmte Gefühl, es allzu genau erst gar nicht erfahren zu wollen. Dabei ist der Klang der Warm Intentions noch bei weitem luftiger und offener als der von Mazzy Star, der eigentlichen Band von Sandoval. Das gemeinsame Projekt mit dem im Paisley-Underground von San Francisco gestählten Gitarristen Dave Roback brachte es in der ersten Hälfte der Neunziger gar zu Platinauszeichnungen, obwohl man schon mal abrupt Auftritte beendete, wenn sich das Publikum unbotmäßig laut und unaufmerksam gab.
Vor nun schon sieben Jahren erschien die letzte Platte von Mazzy Star. Neue Veröffentlichungen waren zwar angekündigt, sind aber nie erschienen. Wenn der von Robacks psychedelischer Slide-Gitarre definierte Mazzy-Star-Sound mitunter an die betäubte Verlorenheit nach einer durchzechten Nacht gemahnte, erinnert Sandovals erster Solo-Versuch unter dem Titel „Bavarian Fruit Bread“ nun eher an das Gefühl, noch verschlafen morgens in den ersten Sonnenstrahl zu blinzeln. Die Songstrukturen aber sind dieselben geblieben und glänzen weiter durch komplettes Fehlen von Spannungsaufbau und Dramaturgie.
Ansonsten pflegt Sandoval ihre vielen Talente. Zu denen gehören das flüsternde Fastgarnichtsagen in Interviews und das Geheimnis suggerierende Verschweigen halb interessanter Informationen. So erfährt man, dass sie zwar davon träume, gut zu singen, verweigert aber die Auskunft, warum jemand, der aus Los Angeles stammt, in San Francisco und London lebt, sein Album „Bayerisches Früchtebrot“ nennt. Die Geschichte dahinter wäre zu persönlich, haucht sie, und das ist tatsächlich wohl spannender als die schlichte Wahrheit. Man lernt also: Es kommt weniger auf die Stimme an als darauf, wie man sie einsetzt. THOMAS WINKLER
Heute Abend, ab 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz 1–2, Kreuzberg
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