: Spafalleri, spafallera
Beim schönsten Formel-1-Rennen der Welt – Der Große Preis von Belgien in Spa
Zugestanden, es könnte unfromm und geistesschwach anmuten, dass sich der Mensch in die Natur begibt, ein Zelt auf einer Wiese errichtet und in ihm fünf Nächte verbringt, um tagsüber mehrmals diverse Kilometer um eine Formel-1-Strecke zu laufen, zwischendrin stehen zu bleiben und auf vorbeifegende Automobile zu starren – zugestanden, es sei dies das Einleuchtendste nicht, so ist Spa-Francorchamps in den Ardennen doch ein schöner Ort, um genau das zu tun, anlässlich des Großen Preises von Belgien.
Schön ist Spa, wenn du gegen fünf Uhr morgens aufwachst und die Zelte ihre Kuppen aus dem Nebelmeer recken, schlafend unter einer großen Glocke der Stille wie sehr alte Tiere. Zwei Stunden später signalisieren klagende Hörner und Hupen das Erwachen der Menschen, das ist weniger schön.
Schön ist, dass Rühreiideologe Krautauch nach drei Ankündigungsjahren sein Versprechen wahr macht und auf einem nagelneuen Gasgrill dreißig Eier („Ich denke nur in Makroansätzen“) zu Rühreiern verwurstet – und dabei unaufhaltsam die belgischen Rühreikatastrophen der letzten zwei Jahrhunderte sowie das aktuelle Desaster am Campingwaschplatz bespricht, mit der Quintessenz, den bei den Standgebühren eine satte Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr draufgesattelt habenden Inhaber demnächst „richtig in den Urin treiben“ zu wollen.
Nicht so schön an und in Spa ist, derweil mit anzusehen, wie ein Nachbar um 7.30 Uhr ein Weizenbier einlitert. Auch die eigenen Versehrtengespräche sind nicht besonders schön.
Sehr schön in Spa hingegen ist, dass ab spätestens acht Uhr zwei circa acht Mann starke holländische Reisegruppen beginnen, mitgebrachte Sofas mit dem Beil zu zerhacken und dabei in Turbinenlautstärke einheimische Folklore abzuspielen, die das Spermaschlucken und ähnliche Dinge besingt. Das geht bis zum Nachmittag. Dann schart man sich um den Fernseher und guckt Hardcorefistfickelstreifen, die von einem sehr lustigen holländischen Moderator kommentiert werden. Zum Rennen geht man nicht.
Nicht schön an Spa ist, dass M. Schumacher den vereinbarten Fototermin am Flughafen kurzfristig platzen lässt. Dafür werden auf der Terrasse Erkenntnisse gewonnen: „Der kleine Schumi ist ja groß im Verhältnis zum großen Schumi, der ja klein ist.“ Die herumbrausenden Mehlschwalben interessiert das nicht.
Schön in Spa ist, nach der Betrachtung von „Schumis Spa-Hammer“ (Kölner Express) ein Holzfeuer zu entfachen und mit den Wegberger Freunden um gute Glut herumzuhocken. Schon vorher schön war der abermalige Beweis, dass Holland den Volksblödheitscontest ein für allemal für sich entschieden hat: durch ununterbrochenes Rülpsen im Rudel, Brüllen, Lallen und Ins-Ohr-Hupen während des Rückmarsches von der Piste. Was unsere Zeltplatztomatenköpfe, „die durchgeknallten Chemiebrüder“ (Carsten), durch einen letzten Anfall an dröhnender Terrortaliban- und Faschistengesinnung final bekräftigen – und nämlich nun DJ Ötzi, Porno, Holland-Comedy und Michael Jackson so durcheinander kreischen lassen, dass die Nachbarn zu weinen beginnen.
Spa ist schön – durch die Sonne, in der man einen Free-Style-Skat wegdrischt; durch die Sonne, die den Tau glitzern lässt; durch die Birken an der Bus-Stopp-Schikane; durch die Zunahme der Eintrittspreise bei Abnahme der Sichtmöglichkeiten. Schön an Spa ist, dass die einzig spektakuläre Aktion, der Abflug des Minardi-Mannes Davidson, dort passiert, wo wir uns aufhalten – und ich steh’ im Wald beim Pinkeln.
Kurz: „Wer hier hinfährt, zählt zu den Idioten.“ (Krautauch)
JÜRGEN ROTH
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