■ Wer zahlt den Preis für einen Irakkrieg?
: „Es war eine Schlächterei“
betr.: „Thierse: US-Pläne bedeuten Angriffskrieg“, „Schröder ringt um Lufthoheit“, taz vom 3. 9. und 5. 9. 02
Ich bin die deutsche Ehefrau eines britischen Golfkriegsteilnehmers von 1991. Deshalb versuche ich, die Realitäten eines Krieges am Golf darzustellen. Dabei halte ich mich vielfach an Erfahrungen, die mein Mann und ich während der Operation Wüstensturm 1991 und in den Folgejahren sammelten und die auch die nachdrückliche Forderung der USA auf Immunität ihrer Soldaten gerade vor einem neuerlichen Angriff auf den Irak erklären.
Wahr ist, Saddam Hussein ist ein skrupelloser Verbrecher, der allerdings auch nach seinen Giftgasmorden an den Kurden 1988 von den USA in höchstem Maße subventioniert wurde. Fakt ist, dass die US-Regierung im Golfkrieg 1991 wissentlich Verbrechen gegen die eigenen Soldaten und Kriegsverbrechen gegen irakische Gefangene, Verwundete und die irakische Zivilbevölkerung zugelassen hat und die ehemalige UN-Botschafterin Albright den Tod von mehr als einer halben Million Kinder aufgrund von Sanktionen als „Preis, der es wert ist gezahlt zu werden“, bezeichnete.
Während der ersten beiden Tage der Bodenoffensive setzten drei Brigaden der ersten US-Panzergrenadierdivision auf Panzer montierte „Pflüge“ ein, um tausende irakischer Soldaten, zum größten Teil Verwundete nach einem amerikanischen Angriff, lebendig zu begraben. Oberst Anthony Moreno, Kommandeur der zweiten Brigade, gibt zu, dass über eine Länge von mehr als hundert Kilometern die Schützengräben der Iraker einfach verschüttet wurden. Um sicherzugehen, dass niemand der Verwundeten überleben würde, fuhr noch eine zweite Welle der „Bulldozer“ über die mit Tonnen von Sand gefüllten Schützengräben.
In der Endphase des Bodenkrieges wurden tausende irakischer Soldaten, von denen der überwiegende Teil Wehrpflichtige teilweise noch im Kindesalter sind, regelrecht abgeschlachtet. Im April 1991 wurde dem Europäischen Parlament beschrieben: „Hunderte irakischer Soldaten begannen unbewaffnet mit erhobenen Händen auf die US-Stellung zuzugehen und versuchten sich zu ergeben. Die Einheit hatte jedoch Anweisung, keine Gefangenen mehr zu machen … Die Kommandeure eröffneten das Feuer, indem sie eine Anti-Panzer-Rakete durch einen der irakischen Soldaten schossen … Zu diesem Zeitpunkt begannen alle in der Einheit zu schießen. Es war ganz einfach eine Schlächterei.“
Ein weiterer Vorfall ereignete sich zwei Tage nach Waffenstillstand. Es ist der von General Schwarzkopf genehmigte Angriff der 24. Panzergrenadierdivision der US-Armee auf irakische Soldaten. Das Gemetzel begann um 8.15 Uhr am 2. März 1991 und endete erst kurz nach 12.00 Uhr. Die Hellfire-Raketen der Apache-Hubschrauber leisteten ganze Arbeit. Sogar Sanitätsfahrzeuge mit Verwundeten wurden nicht verschont. Im Golfkrieg gab es auch die meisten „Friendly Fire“-Vorfälle des gesamten 20. Jahrhunderts, bei denen Soldaten eigener oder befreundeter Einheiten von den eigenen Leuten abgeschossen wurden. Trotz deutlicher Kennzeichnung auf den Dächern der gepanzerten Fahrzeuge sind so neun Freunde meines Mannes ums Leben gekommen. Sie sind von US- Flugzeugen beschossen worden.
Zehntausende alliierter Golfkriegsveteranen sind heute krank, über 4.000 schon gestorben. Ein neues Waffensystem wurde erstmalig im Golfkrieg von den USA und Großbritannien eingesetzt: DU-Munition mit abgereichertem Uran, seit 1978 im Arsenal der US Army. Bei den erkrankten ehemaligen Soldaten wird Uran im Körper nachgewiesen. Dieses Gift wirkt radioaktiv und erbgutverändernd und lähmt mit der Zeit die Muskeln des Körpers. Die Männer sterben oft am Zusammenbruch der Atmungsorgane. Trotz Drängens verschiedenster Veteranenvereinigungen und Wissenschaftler weigern sich die USA und Großbritannien, dieses Gift aus ihrem Arsenal zu nehmen. Skrupellos wurde es an Soldaten wie meinem Mann „getestet“ und später nach Israel, Saudi-Arabien, die Türkei, Bahrein, Taiwan und Thailand exportiert.
Britische Soldaten wurden schon im Juni 1990, zwei Monate vor der irakischen Invasion in Kuwait, gegen Anthrax, also irakische biologische Waffen, geimpft. Zu diesem Zeitpunkt war der Krieg vermutlich schon beschlossen. Unter Androhung kriegsgerichtlicher Konsequenzen haben britische Soldaten im Golfkrieg Medikamente, die nicht in den Impfpass eingetragen wurden und die teilweise heftige körperliche Reaktionen bis hin zu Krampfanfällen auslösten, verabreicht bekommen. Dabei ging das Militär ziemlich skrupellos vor. „Ihr müsst dieses Zeug nicht nehmen“, sagte der Offizier. „Aber wenn ihr dann bei einem Angriff krank werdet, stellen wir euch vors Gericht.“ Somit war die „Freiwilligkeit“ der Soldaten gewährleistet. Die ehemaligen Golfkriegssoldaten geben schon lange nichts mehr auf den moralisch erhobenen Zeigefinger des Weißen Hauses.
Es geht nicht darum, Inspektoren, die von den USA 1998 vor der erneuten Bombadierung Bagdads abgezogen wurden, wieder einzusetzen. Es geht auch nicht darum, die irakische Bevölkerung von ihrem Joch zu befreien. Unsere Erfahrung mit dem Pentagon und dem britischen Verteidigungsministerium lässt uns glauben, dass der wahre und einzige Grund für eine Intervention im Irak machtpolitische Expansionspolitik ist: die Kontrolle über eine der erdölreichsten Gegenden der Welt. Dafür geht man über Leichen, auch wenn es die eigenen Leute sind! TINA ELLIS, Rietberg