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Hickhack um die Joblosenstatistik

Arbeitslosenzahlen stiegen saisonbereinigt. Streit um Zunahme in Bayern. Erwerbslose helfen bei Flutschäden

BERLIN taz ■ Es hätte für Kanzler Schröder noch schlimmer kommen können: Die Arbeitslosenzahl lag im August zwar immer noch bei 4.018 Millionen Menschen – doch waren es 28.700 weniger als im Juli. Dies gab der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, gestern in Nürnberg bekannt.

Damit enden die erfreulichen Nachrichten jedoch schon: Denn diese kleine Entlastung am Arbeitsmarkt hat nur mit der Jahreszeit zu tun. Saisonbereinigt stieg die Zahl der Arbeitslosen um 2.000 Menschen an. Allerdings wohnen die Betroffenen im Westen; im Osten nahm die Zahl der Erwerbslosen saisonbereinigt um 7.000 ab. Dies ist eine Folge der Flut: Zahlreiche Arbeitslose ließen sich vom Bund engagieren, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Ansonsten aber konnte Gerster noch nicht angeben, inwieweit die Beseitigung der Flutschäden für Beschäftigung sorgen wird.

Unerfreulich ist für den wahlkämpfenden Kanzler auch, dass die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum Vorjahr um knapp 230.000 Menschen gestiegen ist; es ist der höchste Stand in einem August, der seit 1999 verzeichnet wird. Selbst zu Kohls Zeiten sah es kaum schlechter aus: Im August 1998 waren 4.095.432 Menschen erwerbslos und damit nur 77.233 mehr als jetzt.

Allerdings, darauf wies Gerster gestern wieder hin, gab es damals „Wahl-ABMs“. Kurzfristig hatte die Kohl-Regierung den zweiten Arbeitsmarkt auf 262.000 Stellen aufgestockt. Momentan existieren nur 126.000 ABM-Jobs. Dafür, könnte die Union kontern, liegt heute die Kurzarbeiterzahl doppelt so hoch. Sie betrug im August 142.948 – vor vier Jahren waren es nur 64.864.

Um es zusammenzufassen: Jenseits aller kleinen Tricks und großen Maßnahmenpakete gilt für die Regierung Schröder wie Kohl, dass etwa eine Million Menschen von der aktiven Arbeitsmarktpolitik profitieren. Sie alle tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf.

Gleiches gilt für jene 310.000 älteren Arbeitnehmer, die jüngst aus der Statistik ausgesteuert wurden. Sie beziehen zwar weiter ihre Leistungen, haben aber freiwillig darauf verzichtet, für die Vermittlung zur Verfügung zu stehen.

Zahlen sind eben interpretierbar; das zeigte sich auch gestern, als sich SPD und Union daran machten, den Arbeitsmarkt in Bayern zu deuten. Fakt ist, dass die Arbeitslosenquote dort in einem Jahr um 19,5 Prozent zugenommen hat – so stark wie in keinem anderen Bundesland. Dies ließ sich SPD-Generalsekretär Müntefering nicht entgehen und forderte: „Stoiber runter von seinem hohen Ross“. Fakt ist aber auch, dass die Quote in Bayern trotzdem sensationell niedrig liegt: bei nur 5,9 Prozent. Dies strich prompt Kanzlerkandidat Stoiber heraus.

Ganz und gar nicht lustig ist hingegen die Lage der Auszubildenden: Obwohl das Ausbildungsjahr demnächst beginnt, suchten 137.200 im August noch eine Stelle – doch nur 59.400 Ausbildungsplätze waren unbesetzt. Bei den Akademikern hingegen herrscht weiterhin nahezu Vollbeschäftigung. Ihre Arbeitslosenquote liegt bei „deutlich unter fünf Prozent“, so Florian Gerster.

ULRIKE HERRMANN

meinung SEITE 12

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