: Die russischen Schachstars schwächeln
Zum dritten Mal seit dem von zahlreichen Kontroversen begleiteten Treffen 1970 spielt Russland auf den 64 Feldern gegen den Rest der Welt. Ausgerechnet die Veteranen Anatoli Karpow und Garri Kasparow patzen gleich zu Beginn
BERLIN taz ■ Anatoli Karpow beklagte vor dem dritten Turnier der Russen gegen den „Rest der Welt“ scherzhaft den Verlust eines „guten Billardpartners“. Der Russe Peter Swidler hatte sich am Bein verletzt und musste deshalb auf das Trainingslager der Nationalmannschaft in Swenigorod verzichten. Kein Problem, denn die Schachauswahl fühlte sich auch mit einem leicht lädierten Swidler stark genug, um während des viertägigen Turniers in Moskau, das morgen endet, den „Rest der Welt“, ein Starensemble verschiedener Länder, matt zu setzen.
„Wir sind favorisiert; würden Michael Adams und Weselin Topalow mitspielen, wäre es umgekehrt“, tönte der Weltranglistenerste, Garri Kasparow, zuvor. Nachdem der englische Weltranglistenvierte das Treffen mit den Russen abgesagt hatte, machte auch die bulgarische Nummer fünf einen Rückzieher. Topalow erschien das Antrittssalär nicht hoch genug. Der 27-Jährige verhandelt knallhart um seine Bezüge. Im Vergleich zu Bobby Fischer bleibt der Bulgare aber ein Waisenknabe.
1970 hatte der exzentrische Amerikaner die Organisatoren des „Matches des Jahrhunderts“ zwischen der Sowjetunion und dem „Rest der Welt“ zur Weißglut getrieben. Begnügten sich alle anderen Teilnehmer in Belgrad mit einem Honorar von 500 Dollar, verlangte Fischer das Zehnfache. Nachdem dieses bewilligt war, beharrte der damals 27-Jährige darauf, dass die Spieler nicht miteinander reden dürften. Außerdem verbat sich das Genie aus Brooklyn jegliche Film- und Fotoaufnahmen während der Partien, sogar Zeichnungen wurden untersagt.
Zudem wollte Fischer am prestigeträchtigen ersten Brett Platz nehmen. Darauf bestand auch Bent Larsen. Der Däne war im Gegensatz zu dem seit 1968 nahezu inaktiven Rivalen aus dem Westen von Erfolg zu Erfolg geeilt. Fischer scherte es zunächst wenig, dann lenkte er aus bis heute ungeklärten Gründen doch ein und saß schließlich am zweiten Brett. Dort demütigte er Exweltmeister Tigran Petrosjan in den beiden ersten Partien, obwohl der zäh verteidigende Armenier auch schon manches Jahr ohne einzige Niederlage überstanden hatte. Mit zwei Remis sorgte Fischer für den einzigen 3:1-Erfolg in den zehn Einzel-Duellen. Larsen verdiente sich ebenso ein „Luxus-Automobil“ der Marke „Moskwitsch“, die für die Sieger an den beiden Spitzenbrettern ausgesetzt worden waren. Nachdem Larsen die Schlappe aus der zweiten Partie gegen Boris Spasski ausgeglichen hatte, wollten die Sowjets keine Blamage ihres Weltmeisters riskieren und wechselten Leonid Stein als Ersatz ein, der prompt unterlag. Trotz der Überlegenheit der Welt auf den Positionen eins bis vier – der Ungar Lajos Portisch und der Tscheche Vlastimil Hort hatten Viktor Kortschnoi und Lew Polugajewski mit 2,5:1,5 das Nachsehen gegeben – setzte sich die UdSSR dank der Überlegenheit an den hinteren Brettern mit 20,5:19,5 hauchdünn durch.
1984 folgte das zweite Match, das historisch jedoch nicht dieselbe Bedeutung erlangte. Wohl zu glatt ging der abermalige sowjetische Sieg über die Bühne. Bemerkenswert bei dem 21:19 in London war lediglich, dass der geflüchtete Kortschnoi mittlerweile die Seiten gewechselt hatte. Von den damaligen Recken sitzen in Moskau noch zwei mit an den Tischen: der vor 18 Jahren regierende Weltmeister Karpow und sein Thronfolger Kasparow. Ausgerechnet die beiden Schach-Legenden hatten nach den ersten beiden Durchgängen den 8,5:11,5-Rückstand der Russen zu verantworten. Karpow verlor sowohl gegen den Israeli Ilja Smirin wie das aserbaidschanische Wunderkind Teimour Radjabow. Sie haben noch die stärksten Gegner vor sich.
Diesmal spielt nämlich jeder gegen jeden Schnellschach. Das bevorteilt vor allem Viswanathan Anand. Der „schnelle Brüter“ aus Indien gewann in Moskau als einziger Großmeister die beiden ersten Vergleiche gegen Alexander Motilew und Wadim Swagintsew. Kasparow erlitt gleich zum Auftakt einen Einbruch. In brillantem Stil hebelte ihn Wassili Iwantschuk aus. Der Vizeweltmeister aus der Ukraine ist zum steten Verdruss Kasparows gegen den Weltranglistenersten immer motiviert wie kein Zweiter. HARTMUT METZ
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