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Die jungen Männer und das Meer

Komm, lass uns Haie fangen: Mit Marc Fischers Roman „Jäger“ macht sich die Popliteratur endgültig auf die Suche nach der verlorenen Authentizität. Ausgerechnet beim Hochseefischen vor der Küste Kubas finden Deutschlands ausgebrannte Medienarbeiter und Dandyschriftsteller zu sich selbst

von GERRIT BARTELS

In Zeiten wie diesen, in denen sich beispielsweise die Terroranschläge vom 11. 9. das erste Mal jähren und es vor der Erinnerung an sie absolut kein Entrinnen gibt, uns Medien sei Dank, in solchen schweren Zeiten also, da kann es passieren, dass man sich Sorgen auch um entferntere Mitmenschen macht. Zum Beispiel um Viva- und MTV-Moderatoren wie Christian, Marcus, Sarah oder Nora. Oder um Popschriftsteller wie Benjamin v. Stuckrad-Barre und Alexa Hennig von Lange. Was machen die alle bloß, wenn sie älter werden? Ist ihre hohe Zeit nicht sowieso schon vorbei, von wegen 11. 9., von wegen Krise der Popliteratur und des Popjournalismus? Müssen die psychisch irgendwann nicht total dekompensieren? Und gibt es keine anderen Lösungen als die, in einem chinesischen Arbeitslager oder auf einem Filmset in Kambodscha zu verschwinden, wie es Christian Kracht in „1979“ und die Herren vom popkulturellen Quintett in „Tristesse Royale“ schon angeboten haben? Fragen über Fragen, eine schwerer zu beantworten als die andere.

Gut nur, dass es einen Autor wie den Hamburger Marc Fischer gibt. Der hat Antworten und spielt in seinem zweiten Roman „Jäger“ durch, was mit jungen und selbst in allgemeinen Krisenzeiten noch erfolgreichen Medienschaffenden dereinst passieren könnte: Sie geraten tatsächlich in eine schwere Krise. Sie gelangen zu der Einsicht, dass ihre Identität nicht auf Taten, sondern auf Rhetorik beruht. Dass sie eigentlich gar keine Identität haben. Ja, dass sie überhaupt nicht leben. Und sie beginnen, nach der Wahrheit zu suchen, nach Echtheit, nach Authentizität, nach den Ursprüngen. Das alles wollen sie finden, indem sie wenigstens einmal in ihrem trüben Leben eine richtige Tat begehen. Indem sie sich zum Beispiel auf einen archaischen Kampf mit der Natur einlassen und einen Hai fangen.

Genau, einen Hai, und zwar am besten in einem Land wie Kuba, denn hier hat, in diesem Fall sei Fidel Castro Dank, die Moderne noch immer keinen Einzug gehalten. Hier wächst die Ursprünglichkeit noch auf Bäumen, liegt einfach so am Strand oder kommt in Form eines Hais vorbei. Und hier können Männer wie Gursky und Schweitzer, Marc Fischers Helden und Jäger, zwei typische Repräsentanten des zeitgenössischen Medienbetriebs, noch so richtig echte Männlichkeitsrituale abhalten: zum Beispiel einen Schwur leisten. Also schwören beide in einer schwachen Stunde, dass sie erst wieder nach Hause zurückkehren, wenn sie einen Hai gefangen haben.

Der eine, Gursky, berühmtester Musikfernsehmoderator Deutschlands und großer Michael-Jackson-Verarscher, ist sowieso genau deswegen nach Kuba gekommen: weil er nämlich bald heiratet und Vater wird. Vor solchen schwer wiegenden Lebenseinschnitten braucht schließlich jeder Mann ein großes Abenteuer noch, sonst ist ein Mann einfach kein Mann.

Der andere, Schweitzer, der starke Ähnlichkeit mit Christian Kracht aufweist, ein Dandyschriftsteller durch und durch, ist auf Kuba eher gestrandet: weil er schwer enttäuscht wurde von seiner großen Liebe, mit der er einst glaubte, „eine Festung gegen die Pornoversionen der Liebe“ zu bilden. Das Fangen eines Hais kommt ihm gerade recht, zumal mit Gursky, den er einst zwar übel auflaufen lief in dessen Sendung, mit dem er später aber auf einer Party seine Unterhosen getauscht hatte (file under: Männlichkeitsrituale Teil zwei, Calvin Klein gegen Helmut Lang).

Nur ist das mit dem Haifang auf Kuba nicht so leicht, irgendwas kommt immer dazwischen. Oder es kommen gar keine Haie. Gursky und Schweitzer kriegen schließlich einen, allerdings, hübsche Brechung dieser Geschichte, in der US-amerikanischen Touristenhochburg Bahamas.

So hakt es hier und dort, so will es nicht recht was werden mit dem von Gursky und Schweitzer geplanten „Ablegen der Zivilisation“, mit dem Wiedergewinnen der ursprünglichen Kraft, mit der Dekonstruktion des eigenen, hohlen Selbst. Am Ende landen beide in einer dunklen Crackhöhle zum endgültigen Showdown.

Marc Fischer hat es nicht so mit der großen Pop-Traurigkeit. Ging es in seinem,ersten Roman „Eine Art Idol“ im Großen um eine irre Revolution und im Individuellen um das Streben nach der absoluten Aufrichtigkeit nach Art der Samurai, so gibt es jetzt in „Jäger“ nur hopp oder topp, nur den totalen Spaß oder den totalen Ernst, nur das Leben oder den Tod, nur das tapfere Weiterleben oder den Hemingway’schen Selbstmord.

Fischers Helden wollen nicht einfach so dahindämmern oder verschwinden, die wollen was! Sie suchen nach Sinn und wissen, dass diese Suche nie aufhört; sie verschwenden sich gern an eine Sache, die viel größer ist, als sie verkraften können. Grundsolide Ansinnen also. Manchmal ein bisschen schwitzig nach Art studentischer Verbindungen, manchmal wie Rockmusik, die sich was drauf einbildet, handgemacht zu sein. Doch in schweren Zeiten wie diesen vielleicht genau das Richtige – Marc Fischers Roman „Jäger“ könnte das große Trostbuch für ausgebrannte Medienmenschen sein. Das Buch zur Krise. Es ist ein Buch, das sagt: Dringlichkeit besteht immer, Plastikmenschen hin, Haie her. Und: Sorge dich und lebe trotzdem.

Marc Fischer: „Jäger“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 249 S., 9,90 €

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