: Antiamerikanismus
betr.: „Die letzte Wahl“, taz vom 4. 9. 02
Gegen Ende der Schlagloch-Holperstrecke von Michael Rutschky taucht ein ‚realistisches‘ Essential auf: „Regieren fordert die Aufweichung von Positionen“ (soll heißen: Kompromisse), gefolgt von drei rhetorischen Fragen. Deren erste: „Hätten nicht Schröder/Fischer mit dem Beginn des Jugoslawienkriegs sofort zurücktreten müssen, um den anderen den Dreck (sic!) zu überlassen?“ Meine Antwort: Klar hätten sie zurücktreten müssen, statt sich an diesem grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Unternehmen zu beteiligen. Und wieso wären nach einem solchen Rücktritt (conjunctivus irrealis!) die „anderen“ an die Machthebel gelangt? Die dann fälligen Neuwahlen hätten nicht in einer ‚kriegsgeilen‘ Stimmungslage stattgefunden; die Zustimmung wurde nachträglich bei laufendem Krieg durch Verbreitung inzwischen entlarvter Propagandalügen Scharpings und anderer zu ergattern versucht.
Das Bedenklichste an dem Satz aber ist die Dreck-Metapher: „Die Drecksarbeit machen“ steht für eine unangenehme, aber notwendige Aufgabe. Indem er so formuliert, reproduziert er die Scheinalternative von („humanitärem“!) Bomben und Zusehen oder Nichtstun. Selbst im braven öffentlich-rechtlichen TV wurde das Publikum ansatzweise über die „Kosovo-Lügen“ informiert.
So zynisch Rutschky über die Gewaltpolitik und die ihr unterworfenen Menschen spricht, so behutsam fasst er verbal die Hauptgewalttäter an: die „Bush-Administration“. Wie war noch mal die Frage? Protest, Widerstand? – Ja, unbedingt! Es gehört nämlich auch zum Realismus, sich der unterschlagenen Stimmen, der Fälschungen zu erinnern und jenes zweifelhaften Supreme-Court-Entscheides und dass das Bush-Regime noch nicht einmal von einem Viertel der Wählerschaft legitimiert wurde, trotz milliardenschwerer Konsensfabrikation der US-Massenmedien; alles andere wäre Antiamerikanismus (die US-Bürger sind mehrheitlich gegen den geplanten Angriffskrieg auf Irak.)
Und nun kommt meine Gegendrohung: Sollte Herr R. sich noch einmal in der taz zur Politik äußern, dann werde ich gaaanz schnell weiterblättern, hoffentlich zu einem Artikel von Bettina Gaus, Mathias Greffrath, Eric Chauvistré und anderen.
R.B.
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