: Sparen mit der Sex-Nummer
Vermittlungsausschuss einigt sich auf Wettbewerb im Ortsnetz, hängt die Hürden jedoch sehr hoch. Billig anrufen kann man den Nachbarn aber schon jetzt über 01 90-Vorwahlen
DRESDEN taz ■ Telefonieren im Ortsnetz soll billiger werden. Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat einigte sich Dienstagabend auf eine Novelle des Telekommunikationsrechts. Ab Dezember kann man mit einer Call-by-Call-Vorwahl entscheiden, zu wessen Tarifen man innerhalb seiner Stadt telefonieren möchte. Auch die dauerhafte Einstellung auf einen anderen Anbieter ist dann möglich. Allerdings hängt der Kompromiss die Hürde für neue Telefonfirmen sehr hoch.
Die Liberalisierung sollte eigentlich viel eher kommen. Doch erst auf Druck der Europäischen Union verständigten sich Länder und Bundesregierung darauf, den Wettbewerb zu gestatten, einen ruinösen Preiskampf aber mit Sonderregeln zu verhindern.
Noch hat die Telekom im Ortsnetz fast überall ein Monopol. Bei wachsender Konkurrenz könnten die Preise ab Dezember sinken. Doch wer beim Telefonieren mit dem Nachbarn sparen will, kann das schon jetzt. Dank einer Lücke im Telekommunikationsgesetz bieten mehrere Unternehmen seit einigen Monaten billige Ortsgespräche an. Sie benutzen dazu Vorwahlen, deren erste Ziffern an teure Sex-Hotlines erinnern: 01 90-0… Der Preis für diese Vorwahlen kann vom jeweiligen Anbieter individuell festgelegt werden. So lassen sich über einen Zentralrechner mit 01 90er-Einwahl nicht nur extrem teure, sondern auch sehr billige Anrufe vermitteln.
Um bereits jetzt zu sparen, wählt man die 01 90-0, eine zweistellige Anbieterkennung (siehe am Ende) und schließlich die komplette Telefonnummer des gewünschten Gesprächspartners. Gestern konnte man tagsüber so schon für 2 Cent die Minute plaudern – deutschlandweit oder auch ins eigene Ortsnetz. Die Telekom verlangt bereits für ein City-Gespräch zwischen 9 bis 18 Uhr das Doppelte. Abgerechnet werden die Telefonate über die normale Telefonrechnung.
Die 01 90-0-Nummern haben jedoch einen Haken. Die Anbieter ändern ihre Tarife sehr häufig. Vor dem ersten Klingeln werden deshalb Gebühren und – wenn länger als eine Minute – auch der Abrechnungstakt angesagt.
Die langen Ziffernfolgen bergen auch das Risiko, dass man sich mal vertippt. Möglicherweise landet man dann aus Versehen doch bei einer teuren Sex-Hotline. Verbraucherschützer mahnen zur Vorsicht.
Die Deutsche Telekom würde die Discounter am liebsten verbieten lassen. Doch ihre Beschwerde bei der Regulierungsbehörde wurde zurückgewiesen. In einem Punkt konnte sich der Exmonopolist aber durchsetzen. Wenn im Dezember das Ortsnetz für das herkömmliche Call-by-Call geöffnet wird, dürfen nur solche Unternehmen antreten, die „ortsnah“ über eine Vermittlungsstelle verfügen. Bei enger Auslegung, so Kritiker, könnte das bedeuten, dass ein Konkurrent in Hamburg 17 und in Berlin gar 30 Übergabepunkte schaffen müsste, um Call-by-Call anbieten zu dürfen.
Ein ausgebautes Netz haben aber die wenigsten Firmen. Die meisten bestehen lediglich aus wenigen Zentralrechnern, die Gespräche über günstig gemietete Leitungen durchstellen. Weil solche Billiganbieter ohne Infrastruktur im Ortsnetz nicht mitmischen dürfen, rechnen Branchenexperten nur mit langsamen Preissenkungen. Deswegen werden die 01 90er-Einwahlen vorerst die billigste, vielerorts die einzige Variante für Ortsgespräche bleiben. Die jeweils aktuellen Tarife findet man im Internet unter www.billiger-telefonieren.de oder www.teltarif.de.
Einige Anbieter-Vorwahlen und Minutenpreise (Stand 11. 9. 2002): 0 19 00 29: 2 Cent 0 19 00 37: 2,2 Cent 0 19 00 84: 2,4 Cent 0 19 00 76: 1,5 bis 2,8 Cent 0 19 00 82: 2,4 bis 4,4 Cent, sekundengenau abgerechnet
RALF GEISSLER
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen