: Freischärlerfrei
Linke Konfliktlösungen: Tariq Ali und U. R. Ananthamurthy waren beim Internationalen Literaturfestival zu Gast
Das derzeit stattfindende Internationale Literaturfestival beschränkt sich nicht auf das bloße Verlesen schöner Texte. Die Veranstalter geben sich stattdessen alle Mühe, die eingeladenen Autoren auch im Gespräch über gesellschaftliche und politische Dinge zusammenzubringen. So saßen am Donnerstag im Roten Rathaus zwei südasiatische Autoren beieinander, um vor Publikum über den Kaschmir-Konflikt zu reden. Der eine: Tariq Ali, aufgewachsen in Pakistan, seit den 60er-Jahren im britischen Exil. Er ist die bekanntere Figur in der westlichen Öffentlichkeit, da er unermüdlich Romane und politische Texte veröffentlicht (zuletzt „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung“). Der andere: U. R. Ananthamurthy, einer der renommiertesten Schriftsteller Indiens, dessen Hauptwerk „Samskara“ von 1966 den Westen mit 28 Jahren Verspätung erreichte, da Ananthamurthy bewusst in seiner Muttersprache Kannada schreibt. Beide Autoren gelten als linksorientiert. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten waren daher kaum zu erwarten. Wohl aber zeigte sich, dass es angesichts der weltpolitischen Lage (und der Podiumsdiskussionen, die beide schon hinter sich hatten) schwierig sein kann, das Gespräch auf ein Thema zu beschränken.
Heute, nach zwölf Jahren militärischen Konflikts zwischen der von Pakistan gesteuerten islamischen Guerilla und der indischen Armee, stellt sich die Situation in Kaschmir mehr als verfahren dar. Würde man in der jetzigen Situation ein Referendum abhalten, so würde ein Großteil der Bevölkerung weder für Pakistan noch für Indien optieren, sondern für die Unabhängigkeit, davon ist Tariq Ali überzeugt. Das indische Militär werde als Besatzungsarmee empfunden, doch auch der islamische Extremismus der Freischärler sei den Kaschmiris fremd. Einzig mögliche Lösung für Südasien könne nur ein Staatenverbund nach dem Vorbild der EU sein, innerhalb dessen Kaschmir als autonome Region existieren könnte.
Obwohl es derzeit wenig Bewegung in den indisch-pakistanischen Beziehungen gibt, setzte Ananthamurthy immerhin vorsichtige Hoffnung in eine mögliche Abwahl der Hindu-nationalistischen BJP bei den nächsten Parlamentswahlen. Doch da auch er es für utopisch hielt, dass etwa die Kongresspartei unter Sonia Gandhi unpopuläre politische Maßnahmen wagen und die Armee aus Kaschmir abziehen könnte, war man am Schluss wieder vereint in Ratlosigkeit. Zwischendurch aber wurde über vieles andere gesprochen. Auch über Afghanistan, Palästina, Irak und den deutschen Bundeskanzler. Dann noch darüber, dass Indien im Gegensatz zu Pakistan ein demokratisches Land ist, das aber sehr korrupte Politiker hat. Dass Pakistan im Gegensatz zu Indien bisher meist von Militärs regiert wurde, die aber nicht weniger korrupt sind. Und dass „general elections“ dort im geheimen „General's elections“ genannt werden. Und welche Partei wählt man da? „The Army Party“.
KATHARINA GRANZIN
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