Der Zugespitzte


Beckstein und Schily: Der Versuch, sich vom SPD-Mann abzuheben, führt ins Absurde

von LUKAS WALLRAFF

So lasch hatte er sich den CSU-Politiker nicht vorgestellt. Sascha Knöchel war enttäuscht, als er das Tonband abtippte. Kurz vor der Wahl hätte sein Interviewpartner doch ein paar Knaller loslassen können, dachte der Reporter der Nürnberger Schülerzeitung Zwiebelfisch. Nichts dergleichen. Keine radikale Forderung. Selbst zum Reizthema Ausländer nur die Floskel, es gebe wohl noch „Handlungsbedarf“ bei der Integration. Als der CSU-Mann den Grünen „viel Idealismus“ bescheinigte, stand Knöchels Urteil fest: Nett, aber nichtssagend.

Die Mehrheit der Wähler hatte offenbar einen ähnlichen Eindruck und entschied sich gegen den Kandidaten. Am 8. November 1987 verlor Günther Beckstein die Oberbürgermeisterwahl in Nürnberg deutlich gegen seinen SPD-Konkurrenten.

Diese Niederlage hat Beckstein hart getroffen. Er sollte das Rathaus seiner Heimatstadt Nürnberg für die CSU erobern. Er hat es nicht geschafft.

„Heute weiß ich, dass ich damals massive Fehler gemacht habe“, sagt Beckstein im Spätsommer 2002 an einem Wirtshaustisch in Finsterwalde. Draußen hängen Plakate mit seinem Foto, auch hier in Brandenburg ist er inzwischen ein bekannter Mann. Er ist bayerischer Innenminister und Mitglied im Wahlkampfteam der Union. Wenn Stoiber gewinnt, wäre Beckstein sowohl Favorit für das Amt des Bundesinnenministers als auch Kandidat für das frei werdende Amt des bayerischen Ministerpräsidenten. Was für ein Aufstieg. Dafür wird er bewundert, deshalb hat ihn die CDU Finsterwalde eingeladen, und eigentlich muss er schon längst nebenan sein im großen Saal des Gasthofs Brückenkopf. Der örtliche CDU-Abgeordnete ist aufgeregt, die Referentin schaut auf die Uhr. Aber Beckstein erzählt immer noch, wie das damals war in Nürnberg. „Ich hätte eine klare Alternative darstellen müssen“, sagt er ruhig. „Ich hätte mich darauf konzentrieren müssen, wie ich Spannung in einer Kampagne erzeuge.“

Nett, aber nichtssagend – so würde ihn heute keiner mehr beschreiben. Auch in Finsterwalde fordert er die Ausweisung krimineller Ausländer „schon bei Verdacht“, verlangt den Einsatz der Bundeswehr im Inland und schimpft über Zuwanderung.

Mag sein, dass er damit den Linken beim Mobilisieren hilft. „Das Wichtige ist für mich, dass ich für den Durchschnittsbürger Verständnis haben muss, weil der Durchschnittsbürger der Wähler ist.“ Der 58-Jährige hat sich ein Image erarbeitet, das er nicht mehr hergeben möchte. „Ich spitze exakt zu wie immer.“ Die Aufgabenteilung ist klar. Stoiber umwirbt die Mitte, Beckstein die rechten Stammwähler.

Die beiden Juristen sind ein eingespieltes Team, seit der damalige Innenminister Stoiber den Nürnberger Wahlverlierer 1988 als Staatssekretär nach München holte. Zuständigskeitsbereiche Polizei und Aids. Fachlich war Beckstein gut geeignet, der Rechtsanwalt hatte fleißig im Sicherheitsausschuss des Landtags gearbeitet und den Arbeitskreis Polizei der CSU geleitet. Den richtigen Tonfall musste ihm Stoiber erst beibringen. Als Beckstein einen freundlicheren Umgang mit HIV-Infizierten vorschlug, versicherte Stoiber den irritierten Bayern: „Die Sicherheits- und Aidspolitik der Staatsregierung wird konsequent fortgeführt.“ Beckstein verstand.

Dass er als Diener seines Herrn gilt, stört Beckstein nicht. Er sei ein Stoiber-Mann. „Ich habe da nie einen Hehl daraus gemacht.“ Als Stoiber 1993 um die Nachfolge des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Max Streibl kämpfte, sorgte Beckstein dafür, dass sich sein Nürnberg-Fürther CSU-Bezirksverband gegen Theo Waigel aussprach. Diese Abstimmung brachte die Entscheidung im innerparteilichen Machtkampf. Stoiber belohnte Beckstein, indem er ihn zum Innenminister machte, später zum Vize und möglichen Kronprinz, der geduldig auf seine Chance wartet. Beckstein nutzte die Zeit, um sich überregional zu profilieren – wie mit seinem Einsatz für die Abschiebung des 14-jährigen Münchner Türken „Mehmet“.

Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt habe, „verrennt er sich manchmal richtig“, hat Susanna Tausendfreund beobachtet, die einzige Grüne im Innenausschusses des Landtags. Als Minister hat Beckstein nicht nur das Polarisieren gelernt, sondern auch viele der dazu passenden Ansichten verinnerlicht. Beim Einsatz der Bundeswehr im Inland etwa sei er „wirklich überzeugt, dass das notwendig ist“, sagt Tausendfreund. „Das ist ja das Schlimme.“

Allerdings wäre Beckstein auch in der Lage, einen anderen Stil zu pflegen, falls es von ihm verlangt wird – oder falls er eines Tages selbst Landesvater wird. Viele Bayern mögen ihn lieber als den kühlen Stoiber. Die asketische Lebensart seines Chefs ist Beckstein fremd. Einmal handelte er sich sogar ein bisschen Ärger ein, als er über Stoiber sagte, der Ministerpräsident habe „lieber eine dicke Akte als eine schlanke Nackte“. Dieser Spruch habe seiner Frau nicht gefallen, erzählt er. Marga Beckstein arbeitet als Ausbilderin für Religionslehrer in Nürnberg und ist so etwas wie eine Kontrollinstanz für ihren Mann. Während Stoiber seine Karin als unpolitisch darstellt, sagt Beckstein: „Ich habe eine sehr emanzipierte und selbstbewusste Frau, die mir sehr deutlich sagt, wo ich aus ihrer Sicht falsch liege.“

Am liebsten provoziert Beckstein mit Reimen. Jugendliche Straftäter sollten lieber „schwitzen als sitzen“. „Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen.“

Beckstein und Stoiber: Beim Thema Aids brachte der Chef ihm den rechten Ton bei

Für die Betroffenen ist so etwas hart. Seine Fans auf den Wahlveranstaltungen lachen. Für sie ist er ein netter Mann, der eben deutlich seine Meinung sagt. So will er gesehen werden: Ein eigentlich herzensguter Mensch, der nur seine Pflicht tut. Und an den lieben Gott glaubt. Als ihm die Grünen unterstellten, „Beckstein würde auch Jesus abschieben“, reagierte das Mitglied der evangelischen Landessynode empfindlich: „Die Fragen des persönlichen Glaubens und des Herrgotts sind mir heilig.“ Dass er sich von der Kirche einmal von einer Abschiebung abbringen ließ, ist nicht bekannt. Auch wenn er sich geduldig deren Argumente anhört.

Diese Woche hat Beckstein ein „Ausreisezentrum“ in Fürth präsentiert. Seinen Gegenspieler, den Sozialdemokraten Otto Schily, kann er damit nicht provizieren – schließlich hat Rot-Grün diese Lager für abgelehnte Asylbewerber selbst im Zuwanderungsgesetz ermöglicht. Den Sozialdemokraten aus dem Amt zu drängen, wäre für ihn ein persönlicher Triumph. Aber wie einst in Nürnberg tut sich Beckstein schwer, „Spannung in die Kampagne“ zu bringen. Dafür hat er in den letzten Jahren zu oft betont, wie gut er sich mit Schily versteht. Die beiden stritten so gut wie nie über politische Ziele, sondern wenn überhaupt über deren Urheberschaft. Der Sozialdemokrat sei bei ihm „in die Lehre gegangen“, sagt Beckstein. Beim Versuch, im Wahlkampf noch härter als Schily zu wirken, rutscht er ins Absurde. Schlägt vor, entführte Flugzeuge abzuschießen. Will Eltern ausweisen, die ihr Kind Ussama nennen. Verlangt Gesetze, die es längst gibt.

Eigentlich müsste Beckstein verzweifeln. Kein Mensch nimmt ihm ab, dass ausgerechnet Schily die innere Sicherheit vernachlässigt. Kaum jemand glaubt, dass er mit der FDP härtere Gesetze durchbrächte als Schily mit den zahmen Grünen. Wenn er mit Schily gemeinsam auftritt, ist er rhetorisch unterlegen, wird schüchtern und lässt sich die Oberlehrerattitüde des anderen fast widerstandslos gefallen. Weil er weiß, dass das vielen auffällt, betont Beckstein: „Schily und ich sind kein Liebespaar.“ Aber er scheint ihn wirklich zu mögen.

Als ihn die Moderatoren einer RTL-Wahlsendung fragen, was Schily nach der Wahl machen soll, lächelt Beckstein nur verlegen. Der gefürchtete Abschiebungsexperte aus Bayern bringt es nicht fertig, den 70-jährigen SPD-Mann aufs Altenteil zu schicken. Hilflos schaut er in die Kamera, knetet seine Hände, zögert – und schweigt selbst, als ihm Schily die Erlaubnis erteilt, „sprechen Sie’s ruhig aus“. Die Moderatoren müssen ihm das Wort vorsagen. Ja, sagt er nur widerwillig, „in den Ruhestand“ soll Schily gehen. Jetzt ist es raus – und schon tut es ihm Leid. Sofort schiebt er nach, der Minister werde auf jeden Fall „ein wichtiger Berater“ bleiben, auch für die künftige Unionsregierung. Schily grinst. Auch er wolle die „bewährte Zusammenarbeit“ fortsetzen. Allerdings soll Beckstein bleiben, was er ist: Minister in Bayern. Schily hat wieder mal das letzte Wort.

Beckstein kann damit leben. Er freut sich, wenn die Leute wie die Zuschauer in Finsterwalde klatschen. Wahrscheinlich ist er dem Durchschnittsbürger wirklich näher als Schily oder Stoiber. Anders als die beiden muss er sich nicht verstellen, um volksnah zu wirken. Und was er von anderen verlangt, hat er selbst zur Genüge: Respekt vor Autoritäten.