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Der Schaum unserer Nächte

Das WMF ist ins Café Moskau umgezogen. Zur Eröffnung des Clubs kamen der letzte Anzugträger Berlins, ein toter Dachs und viele junge Menschen. Die Nachtbar im Keller ist ein Traum aus rotem Plüsch, und Edmund Stoiber hat bereits Hausverbot

von HENNING KOBER

Die schönste Jahreszeit beginnt. 12,5 Grad zeigt die grün schimmernde Temperaturanzeige im Taxi. In der langen Schlange, die sich am Samstagabend vor dem neuen WMF im Café Moskau gebildet hat, sind die ersten Pelzmäntel zu bewundern. Es ist Herbst, in sieben Tagen ist Bundestagswahl, die Generation Golf breitet ihr „Leid der letzten Tage im Borchardt“ melancholisch in der FAZ am Sonntag aus.

Hier im traditionsreichen Café Moskau an der Schillingstraße beginnt etwas Neues. Auf dem Parkplatz zwischen den Rennbahnen der Karl-Marx-Allee setzten drei Mädchen Plastikbecher mit goldschäumendem Sekt auf das Dach ihres Golfs mit HVL-Kennzeichen. Die Gesichter aus dem Strandbad Mitte fahren mit dem Taxi vor. Schon draußen kündigt sich eine für Berlin ungewöhnliche Gästemischung an.

Ist die Prozedur an der Türe erledigt, der Weg an den verdächtig freundlichen Dreimillimeterhaar-Türstehern vorbei frei, rennt man durch den verwinkelten engen Durchgang, hinein in den neuen Club. Wie sieht mein neues Kinderzimmer aus? Bar rechts, Personen in Clubsesseln links, sie reden. Weiter. Der nächste Raum, wieder Menschen auf samtigen Sitzmöbeln, eine Treppe nach oben, gesperrt. Blick in den Innenhof: Wenige Jungs auf Metallstühlen, eine Metallskulptur leuchtet orange, es ist kalt. Julian macht ein enttäuschtes Gesicht, zuckt mit den Schultern. Aber dann bringt Caspar schon Gin Tonic und zieht wissend lächelnd zu einer Treppe nach unten. Na klar. Es gibt doch ein Geheimnis.

Die Handläufer der Marmor-Wendeltreppe sind mit weichem Leder bezogen. Grinsen steigt in unsere Gesichter. Dann bäng, bum, bang: Die Nachtbar, 1987 als letztes Aufbäumen des SED-Staates eingerichtet. Ein Traum aus roten, plüschigen Sitzecken, voll gestopft mit erwartungsvollen jungen Menschen. Es ist heiß, rotes Licht geben dem Nebel und Rauch eine Farbe. Auf der Tanzfläche Parkett, die Decke ist niedrig. Schon um kurz nach eins sehen manche Leute auf herrliche Weise derangiert aus. Ein Mädchen in einem karierten Rock trinkt auf einen roten Sessel gelümmelt große Schlucke aus einer Champagnerfalsche. Ein Junge trägt einen toten Dachs auf der Schulter und raucht seine Zigarette, in eine goldene Spitze gesteckt. Zwei Freunde fragen nach einem Blättchen. Das große Kennenlernen hat begonnen.

An der Bar steht Gerrit, einer der Betreiber. Seine Augen glänzen müdes Glück. „Wir haben viel gearbeitet“, erzählt der 36-Jährige. Er ist seit 13 Jahren in Berlin. Über Mitte will er trotzdem nicht reden. Man will Ben Becker ja auch nicht alles nehmen. Wie sieht die Türpolitik im neuen WMF aus? Keine Faschisten, so wenig Anzugträger wie möglich und keine VIPs, die in abgetrennten Lounges sitzen wollen oder Platincards erwarten. Zwei Hausverbote gibt es auch schon. Sie gelten Dr. Edmund Stoiber und Günter Beckstein. „Nicht auf 50 Meter kommen die hier ran“, sagt Gerrit entschlossen.

Kurz vor vier Uhr. Guter Zeitpunkt die Toiletten aufzusuchen. Wichtigster Ort in jedem Club. Grünbraungraue-DDR-Farben. Der Boden bedeckt mit benutzten Recyclingpapiertücher. Es duftet angenehm nach Gras. Markus Kafka hält seine Hände unter den Wasserhahn. Ein Junge und ein Mädchen kommen aus einer Kabine. Er lächelt und will wissen, ob Boris Jelzin noch da ist. Jelzin, der alte kranke Mann, der zur Zeit tatsächlich einen Berlinbesuch macht, hier im WMF? „Der hat mir vorher einen Wodka ausgegeben“, ist sich der Junge sicher. Seine Freundin fährt ihm über die Stirn und rollt mit Augen.

Am Ende ist einem ganz schwummerig von dem vielen roten Licht. Julian ist verschwunden. Man sagt er habe sehr viel Alkohol getrunken, Caspar zeigt auf den einzigen Menschen, der im Anzug erschienen ist. Er hängt auf einem brauner Veloursbank und schnarcht leise vor sich hin. „Jetzt müssen wir gehen“, sagt Caspar.

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