: unser ausland: eui-ok shu
Die Filmemacherin und Autorin Dorothee Wenner hat für ihre Videoinstallation „Unser Ausland“ zehn Berliner aus zehn Ländern befragt und lässt sie dabei Leidenschaften, Bräuche und Eigenarten der Deutschen betrachten. Wir stellen jeden Montag einen von ihnen vor.
Eui-Ok Shu kommt aus Korea und lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Sie hat lange als Krankenschwester und in der Altenpflege gearbeitet. Heute praktiziert sie chinesische Heilkunst und Akupunktur in einer Berliner Gemeinschaftspraxis. Sie sagt: „quadratisch, praktisch, deutsch.“
„Viele Deutsche gehen lieber in Selbsthilfegruppen oder zum Psychiater, als sich einen Freundeskreis aufzubauen.“
„Manche meiner Patienten sind empört, wenn ich sie frage, wozu sie ihre Krankheit brauchen.“
„Neulich feierte meine Tochter mit 50 Leuten in unserer Wohnung ihren 19. Geburtstag. Es war ziemlich laut. Als der Nachbar kam und nach mir fragte, sagte meine Tochter: ‚Sie schläft‘. Der Nachbar wollte das nicht glauben, aber meine Tochter sagte: ‚Sie ist Koreanerin, sie kann bei solchem Lärm schlafen.‘ Nun: die Deutschen sind nicht nur bei Lärm sehr empfindlich. Es ist eigentlich die ganze Privatsphäre, in die niemand eindringen darf. Man sieht es schon an Äußerlichkeiten: die Sandburgen an der Ostsee, die Gartenzäune in Eigenheimsiedlungen – sogar die Gräber auf dem Friedhof sind durch kleine Hecken vom Nachbarn abgegrenzt. Die Menschen hier verschließen sich sehr in ihren vier Wänden, und in der Konsequenz verlernen viele, ihre Gefühle zu äußern. Sie schlucken alles in sich hinein. Man kann sich bildlich vorstellen, zu was für Krankheiten das führt. Zum Beispiel zu dem Phänomen, das in der chinesischen Heilkunst ‚Leberenergiestau‘ genannt wird. Je nach Persönlichkeit äußert sich dieses Krankheitsbild bei den Menschen ganz unterschiedlich. Aber es ist – ähnlich wie die vor allem klimatisch bedingten Gelenkbeschwerden – eine mentalitätsbedingte Volkskrankheit geworden.“
FOTO: ANKE ILLING
„Unser Ausland“, diese Woche im Rathaus Schöneberg
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