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Fingerbreit Vergangenheit

Wo ging es noch mal zur nächsten Whisky-Bar? Lee Hazlewood schreibt seit knapp 50 Jahren Hits, meist für andere. In Berlin verwandelte er jetzt das Schiller-Theater in eine ordentliche Spelunke

„Das ist wiederso einsmart-ass Sixties-Arrangement“

von JENNI ZYLKA

Süße 73 und noch in Form wie 60. Manche Männer altern eben nicht, sie werden nur weiser. Und lichtempfindlicher. Lee Hazlewood mochte in anderthalb Stunden seine Sonnenbrille nicht abnehmen. Auch die Baseballkappe blieb drauf, was einem als herausgeputztes Publikum schon ein wenig merkwürdig anmutete. Da macht man sich fein, bezahlt Milliarden von Euro, um dieser Legende von einem Songwriter im schnieken Berliner Schiller-Theater angemessen entgegentreten (bzw. -sitzen) zu können. Und dann kommt die Legende leger daher, in schwarzem Jeans-Hemd-T-Shirt-Ensemble, hockt sich auf seinen Barhocker, der Historie nach wohl das natürliche Sitzinstrument des grumpy old man from Oklahoma, und tut so familiär, als säße man mit ihm allein in einer kleinen Bar und plauschte ein wenig aus der Vergangenheit.

Wenn jemand eine Vergangenheit hat, dann Lee Hazlewood. Ein paar „obskure und alberne“ Songs würde er gleich spielen, schnarrt die Drei-biszehn-Fingerbreit-Whisky-Samtstimme. Dann legen die teilweise den Beach-Boys-Epigonen High Llamas entliehenen Begleitmusiker an Gitarre, Bass, Schlagzeug los – und an zwei Keyboards, die leider das angemessenere Orchester ersetzen müssen. „I move around“ singt Lee, denn schließlich ist er herumgekommen. Seit 1953 produziert und bestückt der Mann mit seinen Songs alles, was nicht schnell genug in der Versenkung verschwinden will: Duane Eddy, Dean Martin und seit 1961 Nancy Sinatra. Deren ersten, von ihm geschriebenen Hit „So long Babe“ wird er ebenfalls im Laufe des Abends singen, souverän eingeleitet von einer seiner „Ich hab viel gesehen und sie alle geküsst“-Geschichten („Das ist wieder so ein smart-ass Sixties-Arrangement“), ruhig auf dem Barhocker sitzend, die Hände im Takt auf die Jeansschenkel klopfend. Die Stimme ist so überzeugend wie immer: So tief und erfahren und sexy und cool, dass die Jahre von ihm abfallen, wie Firnis von einem alten Bild abblättert. Auch der Rest der Band steht unbeweglich, der Gitarrist hat sein Instrument sogar auf einen Ständer gepfropft und stellt sich zum Spielen hinter sie wie an ein Keyboard. Schließlich wird hier zurückgeblickt auf ein bewegtes Leben. Dazu muss man sich ruhig verhalten.

Lee Hazlewood spielt Songs aus seiner langen, whisky- und erfolgschwangeren Geschichte, ganz alte wie „My Autumns Done Come“ und ganz neue wie „Dirtnap Stories“ von der eben erschienenen CD „For Every Solution There’s a Problem“, auf der die Songs und die Arrangements zum Heulen schön sind und die Midi-Begleitung in schönster Demo-Tape-Tradition grauenvoll ist. So wie heute Abend. Hin und wieder muss man lachen, über die im Keyboard eingesperrten Background-Chöre, die technisch erzeugten Streicher und Bläser, von denen man sich immerhin genau vorstellen kann, wie überzeugend sie in echt klängen. Und allein das reicht schon um trotzdem wieder begeistert zu sein vom Hazlewood-Wunder.

Vor „These Boots Are Made for Walking“, Nancys Number-One-Hit, deren Stimme er übrigens damals anderthalb Töne tiefer pitchte, um ihr die nötige Sexyness ein- und die störende Schulmädchensauberkeit auszutreiben, erzählt er: Die meisten Menschen auf der Welt würden denken, dass er nur einen einzigen Song geschrieben habe, nämlich den folgenden. „You and Me“, sagt er, und alle im Publikum sitzen ihm in diesem Augenblick in der Bar gegenüber und wollten gerade auf das Leben und die Frauen anstoßen, wir und er wüssten es jawohl besser. Und dann spielt die Band „These Boots …“ in einer funky Version voller Selbstironie. Bei „A Whole Lotta Shakin’“, einem von Jerry Lee Lewis Klavierkrachern, muss man wieder lachen: Lee spielt es als extrem verlangsamten Blues, spricht den Text mehr, als er ihn singt: „Shake, Baby, shake“, sonort er eindringlich, „shake that, shake these“. Sogar wenn er schlüpfrig ist, ist da keine Spur von Lustgreis.

Auch nicht, als er erzählt, warum die Plattenfirma den hidden Track auf der neuen CD versteckte, im Text wünscht sich Hazlewood nämlich „a poa or a bj for my birthday“, a pair of apples, möglichst junge, und einen Blowjob. Wenn das Frank Sinatra hören würde, im Grabe würde er routieren!

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