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Durch die Hölle im Namen der Freiheit

Zum Weltkindertag erscheint das Buch der ehemaligen Kindersoldatin China Keitetsi, die aus Uganda entkam

Noch heute kann sie die Augen ihrer Feinde deutlich vor sich sehen. Feinde, die ihr nie etwas getan haben und die sie dennoch schon im Alter von neun Jahren töten sollte. China Keitetsi war in Uganda eine von weltweit schätzungsweise 300.000 Kindersoldaten.

Als Tochter eines reichen Vaters hatte sie dennoch eine harte Kindheit. Der Vater glich „von seinem Naturell her eher einem Raubtier“, der auf China Keitetsi ebenso einprügelte wie ihre Stiefmutter und ihre Großmutter. Ihre Geschwister halfen ihr, das Blut von ihrem Körper zu waschen. Sie lief von zu Hause weg und versuchte, ihre leibliche Mutter zu finden. Dabei wurde sie von Soldaten der „National Resistance Army“ (NRA) aufgegriffen und zwangsrekrutiert. Zunächst erschien dem kleinen Mädchen die Armee wie ein Spiel. „Am dritten Tag bekam ich die Erlaubnis, mit den anderen Kindern zu spielen, und war froh und stolz, gemeinsam mit ihnen marschieren zu dürfen.“ China Keitetsi bekam eine AK-47, die sie kaum tragen konnte.

In der Armee sagte man ihr, sie kämpfe für die „Freiheit“. Im Namen dieser „Freiheit“ beschützte sie die Offiziere der Rebellen unter Einsatz ihres Lebens. Sie musste in Gefechte ziehen, in die sich erwachsene Soldaten nicht trauten, weil sie wussten, „in was für eine Hölle sie uns da schickten“.

Im Namen der „Freiheit“ wurden die Kinder von erwachsenen Soldaten sexuell misshandelt. In die Rolle einer „Vollblutkriegerin“ gezwungen, lernte China Keitetsi, ihre Uzi „als Freund, als Mutter, als alles“ anzusehen. Einige der Kindersoldaten nahmen sich das Leben. „Wie die meisten hatte auch ich Angst“, sagt sie heute, „wagte aber nicht, sie zu zeigen, um nicht als Feigling zu gelten. Auf diese Weise haben wir uns alle gegenseitig kontrolliert.“ Nicht nur Freiheit und Kindheit wurden ihr geraubt, sondern auch ihre Identität als Frau. „Ich genoss es“, erzählt sie, „als männliches Wesen angesehen zu werden.“

Trauer um andere gefallene Kinder durfte sie nicht spüren. Die Angst vor dem seelischen Zusammenbruch hielt sie davon ab, zu weinen. „Aber völlig verhärtet wurde ich nie. Zu sehen, wie die meisten Kinder Freude am Töten und Foltern entwickelten, hatte etwas Unwirkliches.“

Nachdem sie zehn Jahre als Soldatin missbraucht worden war, versuchte sie den Grausamkeiten zu entkommen. Dann wurde sie vom ugandischen Geheimdienst entführt, gefangen, gequält und gefoltert. Wieder musste sie fliehen und fünf Länder durchqueren, bis sie über nach Dänemark entkam. „Noch heute kann ich die Schmerzen spüren. Und immer noch werden Freunde von mir als Kindersoldaten missbraucht.“

Inzwischen kämpft die ehemalige Soldatin statt mit der Uzi mit Worten. Über ihr Leben als Kindersoldatin hat sie ein Buch geschrieben, das am heutigen Weltkindertag erscheint. Es ist das erste Mal, das eine ehemalige Kindersoldatin ihre Erfahrungen aufgeschrieben hat. Heute arbeitet China Keitetsi in einem Kindergarten in Dänemark. Ihr größter Wunsch sei, dass niemand das durchmachen müsse, was sie selbst erlebt habe. All ihre Liebe will sie Kindern geben. Bis heute hat sie Albträume und fragt sich manchmal, wie sie mit ihrer Geschichte weiterleben soll. „Es ist erstaunlich: In Europa wird ein Menschenleben so vorsichtig behandelt wie ein zerbrechliches Glas.“ FABIAN LÖHE

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