: „Rassismus ist ein Schlüsselthema“
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Herr MacLean, Sie sind Direktor des neu gegründeten Deutschen Instituts für Menschenrechte. Werden Sie sich vor allem mit den Diktaturen dieser Welt beschäftigen?
Percy MacLean: Nein, wir werden vielmehr verdeutlichen, dass die Menschenrechte auch in Deutschland nicht immer beachtet werden.
Ein Beispiel, bitte.
Nehmen Sie das „Recht auf Arbeit“, das im „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ von 1966 anerkannt wurde.
Der Staat hat in diesem Vertrag aber nicht versprochen, jedem einen Arbeitsplatz zu verschaffen.
Deutlich wird aber, dass die Möglichkeit, sich selbst ein Einkommen zu schaffen, auch eine menschenrechtliche Dimension hat. An diesem Bewusstsein fehlt es in Deutschland oft noch. Das geht so weit, dass einigen Menschen die Arbeit sogar verboten wird. Problematisch sind zum Beispiel Arbeitsverbote für Bürgerkriegsflüchtlinge, die länger als ein Jahr dauern.
Und was ist mit den vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland, die zwar arbeiten dürften, aber keine Arbeit finden?
Auch hier gilt: Es ist demütigend, gegen den eigenen Willen zum Versorgungsfall zu werden. Wenn der Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsplätze schaffen kann, ist der Staat in der menschenrechtlichen Pflicht.
Es gibt doch AB-Maßnahmen, und immer mehr Programme sehen sogar eine Arbeitspflicht für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger vor.
Hier geht es um Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt und soziale Kontrolle, nicht um Menschenrechte. Warum werden Arbeitslose – zum Beispiel – nicht bei der Betreuung alter Menschen eingesetzt, nach entsprechender Vorbereitung und mit adäquatem Gehalt? Es gibt so viele unerledigte gesellschaftliche Aufgaben.
Wer soll das bezahlen?
Sehen Sie, das ist das Problem in Deutschland. Man fragt zuerst nach dem Geld statt nach den Menschenrechten. Im Übrigen: Selbst wenn man „realpolitisch“ argumentiert, sollte man bedenken, dass die Finanzierung von Arbeitslosigkeit in Verbindung mit Schwarzarbeit insgesamt für die Gesellschaft sicher teurer ist als die Finanzierung von Arbeit. Außerdem ist die würdige Betreuung pflegebedürftiger und sterbender Menschen ebenfalls eine menschenrechtliche Frage. Für uns wird auch dies ein Schwerpunkt sein.
Zur Situation der Menschenrechte im Ausland werden Sie demnach vorerst wenig Stellung nehmen?
Doch, auch internationale Entwicklungen behalten wir im Blick, etwa den drohenden Krieg gegen den Irak. Die Vermeidung von Kriegen muss unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich Priorität haben – in diesem Fall ganz besonders.
Warum?
Weil hier das ganze UNO-System auf dem Spiel steht. Wenn als Rechtfertigung für einen Angriff bereits die Angst vor irgendwelchen nicht konkret belegten Gefahren in der Zukunft genügt, dann kann bald, wie im Mittelalter, wieder jedes Land der Erde über seinen Nachbarn herfallen.
Vielleicht gibt es ja noch ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates für den Angriff.
Dann stünde für mich die Frage im Raum: Wer kontrolliert eigentlich den Sicherheitsrat? Als ehemaliger Verwaltungsrichter weiß ich, dass jede Macht einer Kontrolle bedarf. Der UN-Sicherheitsrat könnte zum Beispiel durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag kontrolliert werden.
Das ist ein ziemlich utopischer Vorschlag.
Natürlich. Aber wenn man solche Forderungen nicht aufstellt, werden sie nie erreicht.
Und wie beurteilen Sie den noch anhaltenden Krieg in Afghanistan?
Hier beunruhigt mich vor allem, dass zahlreiche Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch die neue afghanische Regierung und die Antiterrorkoalition nicht aufgeklärt werden. Derzeit entscheiden die beschuldigten Akteure selbst, ob eine Untersuchung stattfinden soll.
An welche Fälle denken Sie?
Im Herbst 2001 sollen mindestens 1.000 Kriegsgefangene unter Kontrolle von General Dostum in Containern erstickt sein. Im November 2001 wurde ein Aufstand von Taliban-Gefangenen mit etwa 400 Toten bei Masar-i Scharif niedergeschlagen. Im Juli 2002 gab es gezielte Bombenangriffe auf eine Hochzeitsgesellschaft mit etwa 48 Toten. Nicht zu vergessen die „versehentliche“ Tötung mehrerer tausend Zivilisten, zum Beispiel durch den Einsatz von Splitterbomben. Es darf keinen Terrorrabatt bei der Geltung von Menschenrechten geben.
Ist es denkbar, dass die Bundesregierung dem Irakangriff am Ende doch zustimmt und das staatliche Institut für Menschenrechte weiter dagegen agitiert?
Selbstverständlich. Unser Institut ist unabhängig. Wir sind an die Politik der Bundesregierung nicht gebunden und können, ja sollen, sie auch kritisieren. Die Regierungsvertreter in unserem Kuratorium haben zwar Rede-, aber kein Stimmrecht.
Das ist doch Kosmetik, solange Ihre Finanzierung im Wesentlichen von der Bundesregierung abhängt.
In Dänemark wurde nach dem Rechtsruck bei den jüngsten Wahlen versucht, das dortige Menschenrechtsinstitut finanziell auszutrocknen. Das konnte aber durch eine öffentliche Kampagne abgewehrt werden. Auch ich würde für die Unabhängigkeit und Arbeitsfähigkeit unseres Instituts kämpfen wie ein Löwe.
Wie viele Stellen haben Sie derzeit?
Wir haben derzeit fünf von sieben festen Stellen besetzt, ab nächstem Jahr sollten es eigentlich zehn Stellen sein. Hier hat aber der Finanzminister sein Veto eingelegt.
Sind Sie schon zu unbequem?
Darum geht es hier nicht. Das Finanzministerium will neue Stellen nur genehmigen, wenn dafür in den Ministerien andere Stellen gestrichen werden. Für eine Institution im Aufbau ist das aber ein inakzeptables Argument.
Wie groß soll Ihr Institut mittelfristig werden? Mit fünf bis sieben Stellen können Sie ja nicht viel Wind machen?
Das Institut muss wachsen, das ist klar. Aber ich warne, nur auf die festen Stellen zu schauen. Zumindest ebenso wichtig ist, dass wir Forschungsaufträge an externe Fachkräfte vergeben können. Wir müssen flexibel bleiben.
Die „FAZ“ schrieb zu Ihrer Ernennung, Sie hätten „bisher nicht zu den Schwergewichten in der Menschenrechtsarbeit“ gezählt. Hat Sie das getroffen?
Nein, aber darum geht es auch nicht. Für mich zählt nicht das Etikett eines „Menschenrechtsprofis“, sondern was jemand praktisch und alltäglich auf diesem Gebiet anstößt und bewirkt. Als Verwaltungsrichter habe ich mehr als 20 Jahre lang professionell Menschenrechtsarbeit geleistet. Schließlich ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, dem Bürger gegen Übergriffe des Staates beizustehen. Und schon Mitte der Siebzigerjahre habe ich die Flüchtlingsarbeit bei amnesty international initiiert und die erste Sprechstunde für Asylsuchende geleitet. Denn es ist sinnvoller, politischen Flüchtlingen zu Asyl zu verhelfen, als sie nach einer Abschiebung im Gefängnis zu betreuen. Als Sachverständiger im Ausländer- und Asylrecht war ich auch zu vielen Anhörungen eingeladen.
Wird die Situation von Flüchtlingen für Sie auch im Institut ein Thema sein?
Auf jeden Fall. Auch Rassismus ist ein Schlüsselthema für Menschenrechtsarbeit. Die meisten Menschenrechtsverletzungen entstehen aus rassistischen Haltungen.
Ist Deutschland ein rassistischer Staat?
So kann man das natürlich nicht sagen. Aber der Umgang mit Ausländern und Minderheiten ist oft nicht in Ordnung.
Eine Ihrer ersten Forderungen war, die maximale Dauer von Abschiebehaft von 18 auf 3 Monate zu verkürzen. Ist Abschiebehaft rassistisch?
Das sicher nicht, aber es ist schon bedenklich, wie leichtfertig und formularmäßig vielfach die Entziehung der Freiheit angeordnet und immer wieder verlängert wird. Oft geht es – was rechtlich unzulässig ist – faktisch um eine Beugehaft, weil die Behörden den Ausländer zwingen wollen, bei der Passbeschaffung kooperativ zu sein. Gegenüber Deutschen wäre eine eineinhalbjährige Beugehaft zur Erzwingung irgendwelcher Handlungen rechtlich völlig undenkbar.
Kann sich nun jeder, der sich in seinen Menschenrechten verletzt fühlt, an Sie wenden?
Nein, ich bin kein Ombudsmann. Unser Institut kann sich grundsätzlich nicht um Einzelfälle kümmern, dazu sind wir personell viel zu schwach ausgestattet. Aber wir werden versuchen, Antragsteller weiterzuvermitteln und das Grundsätzliche an ihren Anliegen herauszufinden und zu dokumentieren.
In anderen Staaten, insbesondere in Skandinavien, kümmern sich vergleichbare Einrichtungen auch um Einzelfälle.
In Deutschland gibt es bereits mehrere institutionelle Wege, Menschen zu ihrem Recht oder wenigstens zu einer gerechten Lösung zu verhelfen. Wir haben Verwaltungs- und Verfassungsgerichte, die Parlamente haben Petitionsausschüsse, und im Ausländer- und Asylrecht gibt es zunehmend Härtefallkommissionen, die man ausbauen sollte.
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