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Der sanfte Wüterich

Kampf den „Gartennazis“: Reinhard Mey besingt in der Messehalle 7 die Liebe, unförmige Pöter und den Dessouseinkauf. Sobald er aber gesellschaftskritisch werden möchte, neigt der nette Barde zu plumper Polemik. Letztendlich gilt: „Irgendein Depp mäht immer irgendwo.“

Es war ein denkwürdiges Konzert, das Reinhard Mey am Sonntagabend in der Messehalle 7 gab: Das lag zum einen daran, dass der Berliner Barde die Halle als erster Künstler besingen durfte. Zum anderen war zum Zeitpunkt seines Auftritts die Bundestagswahl noch nicht entschieden, weshalb sich regelmäßig Menschen ins Foyer davonstohlen, wo der begehrte Fernseher stand. „Der Stoiber bleibt uns erspart“, raunte es irgendwann erleichtert durch die Reihen.

Was Reinhard Mey selbst an diesem Abend kredenzte, war weniger denkwürdig, sondern genau jene Kost, die seine Fangemeinde – natürlich war das Bremer Konzert ausverkauft – von ihrem Troubadour erwartet. Wie immer steht Mey, mittlerweile 59, in juvenilem schwarzem T-Shirt, abgewetzten schwarzen Jeans und mit seiner Klampfe allein auf der Bühne, um „ein Stück Musik, von Hand gemacht“, vorzutragen. Und es ist in der Tat wohltuend, dass Mey hier ohne den groovenden, funkigen Schnickschnack seiner jüngsten Tonträger auskommt.

Wunderschöne, anrührende Balladen bringt er zu Gehör, vor allem, wenn es um die Liebe geht. Er besingt die Merkzettel seiner Frau („Zahnpasta fehlt – und du mir auch“), den Zustand der Trunkenheit und – verpackt in eine Fabel – das schwierige Thema Kindesmissbrauch.

„Rüm Hart“ heißt Meys jüngstes Album, auf Friesisch bedeutet das „großes Herz“. Doch wes Herz voll ist, des Mund läuft über: „Ich muss mir das einfach von der Seele singen, versteht ihr“, bereitet Mey sein Publikum vor: Und dann kommen die braven Spitzen gegen Boxenluder und Fernseh-Lifestyle-Magazine, dann kommt der Lobpreis der Aufrechten und Gerechten dieser Welt. So ist das beim netten, augenzwinkernden Mey.

Schluss mit lustig ist stets dann, wenn Reinhard Mey sich „den Politikern“ zuwendet. So kündigt Mey sein Lied vom „Narrenschiff“ an „als kleinen Bericht zur Lage der Nation an diesem eigenartigen Wahlabend“. So ist sie, die böse politische Klasse: „Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken, der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken“. Und die Mannschaft besteht aus – wer hätte es gedacht – „lauter meineidigen Halunken“. Ähnlich undifferenziert fällt auch das Schröder-Schmählied „Gernegroß“ aus, in dem Klischees über den kleingewachsenen Bundeskanzler verwurstet werden: „Gernegroß“ ist machtgierig, wirft sich gerne in Siegerpose und nuckelt an der Zigarre. Ärgerlich wird es, wenn Mey, nur weil ihm die glatte Berliner Republik missfällt, mal so nebenbei deren demokratisches Fundament in Frage stellt: „Gernegroß und seine großen Demokraten / Führ‘n sich auf wie große Potentaten / Befrackt, gestriegelt, cool und smart: / Das ist die Demokratie – nach Gutsherrenart.“

Auch Meys Beitrag zur PISA-Debatte fällt holzschnittartig und wohlfeil aus: In der Schule fehle eben „ein Fach Menschlichkeit und Mut“, klagt er und vergleicht die Einschulung seines Sohnes damit, ein „Kälbchen zur Schlachtbank“ zu führen.

Doch es ist nicht der Bänkelsang der Politikverdrossenheit, der in Bremen am besten ankommt. Applaus brandet am stärksten dann auf, wenn Mey schlüpfig wird und vom Balkencode am Schniedel, der Dessousabteilung, geilen Säcken oder Pötern singt – so erregt er sich über die blanken Hintern von Urlaubern, „die von Schweinshaxe und Bierkonsum“ gekennzeichnet sind und deren Anblick Mey während der Sommerfrische auf Sylt ertragen musste.

Überhaupt Sylt: Natürlich kokettiert Reinhard Mey damit, dass er seine rasenmähenden Nachbarn dort als „Gartennazis“ beschimpft hat und damit in die Boulevard-Schlagzeilen geriet. Prompt ergänzt der wütende Wildwuchsfetischist einen seiner Gassenhauer um eine neue Strophe: „Übel riechend, brutal und roh – irgendein Depp mäht immer irgendwo.“ Markus Jox

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