: Kleine Hexe zaubert nicht
Der argentinische Weltklassespieler Juan Sebastián Verón ist in seinen fünfzehn Monaten bei Manchester United zum Problemfall geworden. In der heutigen Champions-League-Partie gegen Bayer Leverkusen soll sich das möglichst ändern
von RAPHAEL HONIGSTEIN
Fußballer lassen sich bei nächtlichen Eskapaden nicht sonderlich gerne erwischen, und Spieler von Manchester United passen noch viel mehr auf: Trainer Alex Ferguson ist mannschaftsintern als „der Haarfön“ bekannt, weil er Spieler nach Discobesuchen oder ähnlichen Verfehlungen aus nächster Nähe so sehr anschreit, dass diese sich den Griff zum Handtuch sparen können. Besonders David Beckhams teure Frisur wurde auf diese Weise in der Vergangenheit immer mal wieder in Mitleidenschaft gezogen. Juan Sebastián Verón hingegen riskiert als Glatzenträger nicht ganz so viel. Das mag ihn vielleicht dazu bewogen haben, im Sommer ohne große Not zuzugeben, in der vergangenen Saison zu später Stunde ebenfalls des Öfteren um die Häuser gezogen zu sein. Doch nicht in schicke Bars oder zu heißen Partys hatte es den Mittelfeldspieler nach eigenen Worten gezogen, sondern einfach hinaus in die dunklen Gassen: Aus Verzweiflung über seine schlechte Form habe er nächtelang nicht geschlafen und sei dafür „wie ein Irrer“ durch Manchester gelaufen.
Ein paar Monate später fragt man sich in England immer noch, wann der verwirrte Argentinier denn endlich in Old Trafford ankommt. Seit seinem Wechsel von Lazio Rom vor 15 Monaten hat der 27-Jährige noch keine einzige Partie gemacht, die seinem Ruf als Weltklassespieler auch nur annähernd gerecht geworden wäre. Ferguson hat „die kleine Hexe“ mal links, mal rechts, mal zentral, mal als zweite Spitze aufgestellt – und bis jetzt nur wenig davon gehabt; selbst viele United Fans meinen mittlerweile, dass der 28,5-Millionen-Pfund-Mann das Team im Grunde eher schwächt.
Warum Verón, unbestrittener Mittelfeld-General und torgefährliche Spitzenkraft in Rom, auf der Insel ein Problemfall ist, weiß allerdings niemand genau. Gut, als „fantasista“ – die klassische Nummer zehn hinter der Offensive, die sich ganz der Kreativität widmen darf – passt er nicht so recht in Uniteds 4-4-2-System, doch ein Mann mit seiner Spielintelligenz müsste dieses Problem eigentlich locker lösen können. Vielleicht gibt es ja ein Sprachproblem. Und glaubt man Ferguson, sind sowieso nur wieder die Medien schuld: Im Mai verlor Sir Alex bei einer Pressekonferenz nach einer kritischen Frage zu Verón vollkommen die Fassung und beschimpfte die Journalisten minutenlang als „fucking idiots“, die von nichts eine Ahnung hätten und den guten „Seba“ wegen seines argentinischen Passes gezielt viel zu schlecht bewerten würden. Der Geplagte selbst wäre im August nur allzu gerne im Wechsel mit Nationalmannschaftskollege Hernán Crespo zurück zu Lazio gegangen, Ferguson aber sagte nein.
Der sture Trainer will allen beweisen, dass er mit seiner eigenwilligen Transferpolitik Meisterschaft und Champions League doch noch mal gewinnen kann. Sein Wohl ist jetzt, nach den Ausfällen von Roy Keane, Nicky Butt und Paul Scholes, mehr denn je auf Biegen und Brechen mit dem von Verón verbunden. Auf dem verunsicherten Argentinier lastet vor dem heutigen Spiel in Leverkusen (20.45 Uhr) die ganze Last des Spielaufbaus – es ist seine x-te Bewährungsprobe. Die Partie in der BayArena soll zur Revanche für das von Ferguson immer noch als „unglücklich und unverdient“ empfundene Aus im Halbfinale der vergangenen Saison werden, von dem Keane in seiner Autobiografie berichtete, dass einige United Spieler damals „vor Nervosität gezittert“ hätten. Nachdem Bayer auf Grund der vielen Verletzten und der prominenten Abgänge vorne nicht mehr sicheren Kombinationsfußball spielt und hinten dilettantisch verteidigt, kann man sich das diesmal schwer vorstellen. Aber genau wie der Gegner ist auch Manchester derzeit ein Team, dem das eigene Selbstverständnis abhanden gekommen ist. Bisher tritt es auf wie ein über Nacht geschrumpfter Gigant, dem nun die eigenen Schuhe zwei Nummern zu groß sind: United stolpert mehr, als dass es läuft. Immerhin: Das eint das Team derzeit mit dem deutschen Vizemeister.
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