: Wettbewerb behindert Hilfe
Beim Streit um Kürzungen für die Behindertenhilfe droht PDS-Sozialsenatorin freien Trägern mit Kündigung des Rahmenvertrages. Preiswettbewerb würde gleich bleibende Qualität in Frage stellen
von SABINE AM ORDE
Die Sozialverwaltung hat angedroht, im Bereich Behinderten- und Wohnungslosenhilfe aus dem Rahmenvertrag mit der Liga, dem Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände, auszusteigen. Die Verwaltung unter Leitung von PDS-Senatorin Heidi Knake-Werner will dann mit den einzelnen Trägern zum Beispiel von Behindertenwerkstätten oder Obdachlosenunterkünften über die Preise verhandeln, die sie für einzelne Leistungen zu zahlen bereit ist. „Damit würde ein Preiswettbewerb unter den Trägern ausgelöst, der sich unmittelbar auf die Qualität der Betreuung niederschlagen wird“, sagt Thomas Dane vom Diakonischen Werk, der derzeit Liga-Vorsitzender ist.
„Das ist ein Spiel mit der Existenzangst der Träger“, so Dane weiter. Sollte es wirklich so weit kommen, befürchtet der Liga-Chef, dass vor allem kleine Träger auf der Strecke bleiben und die Vielfalt der Anbieter verloren geht. „Vor allen Dingen aber können die Betroffenen nicht mehr sicher sein, dass sie in einer Einrichtung eine bestimmte Leistung bekommen.“
Grund für den massiven Konflikt sind die Kürzungen, die der rot-rote Senat den Wohlfahrtsverbänden in diesem Bereich aufgebrummt hat. Nach Angaben der Liga sollen bis Ende 2004 bei den gesetzlich verankerten Pflichtleistungen 73 Millionen Euro eingespart werden und damit fast ein Fünftel des bisherigen Volumens. Die Sozialverwaltung spricht zwar von derselben Summe, geht aber von einem größeren Gesamtvolumen aus – und kommt so zu einem prozentual kleineren Anteil. Betroffen von den Kürzungen sind 750 Träger. Die meisten davon sind Einrichtungen der Behindertenhilfe, in denen rund 10.000 Behinderte betreut werden.
Die Liga hält die Kürzungen für nicht umsetzbar. „Dann müssten die Träger massiv beim Personal sparen, 3.000 Stellen könnten wegfallen“, sagt Reinald Purmann, Leiter des Bereichs Behindertenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Der zweite oder dritte Betreuer in einer Gruppe wird gestrichen werden, die Qualität nimmt zwangsläufig ab“, sagt Purmann. „Die Zeche zahlen die Schwerstbehinderten.“
Die Liga verhandelt derzeit mit dem Land über einen neuen Rahmenvertrag, der alte läuft zum Jahresende aus. Streitpunkt dabei sind nicht nur die Kürzungen, sondern auch die Laufzeit des Vertrags. Der Senat wolle nur eine Laufzeit von einem Jahr, sagt Purmann. „Aber die Einrichtungen brauchen Planungssicherheit.“ Niemand in der Liga wolle sich Einsparungen verschließen, aber dabei müsse man strukturell und langfristig denken.
Die Sozialverwaltung sieht das anders. Weil in den vergangenen Jahren die so genannten entgeltfinanzierten Leistungen auch im Behindertenbereich kontinuierlich gestiegen seien, sei eine Absenkung geplant. Von Kahlschlag in diesen Bereichen könne aber überhaupt nicht die Rede sein, sagt Sozialsenatorin Knake-Werner. „Wir werden auch in Zukunft eine für alle Betroffenen ausgewogene Versorgungssituation sicherstellen.“ Das gelte auch für die mit der Liga vertraglich vereinbarten Leistungen. Hier müssten Ausstattungsvorsprünge gegenüber anderen Bundesländern – insbesondere den Stadtstaaten Bremen und Hamburg – abgebaut werden.
In der Liga befürchtet man nun, dass die Sozialverwaltung das Druckmittel der Einzelverhandlungen auch auf andere Bereiche übertragen wird. Purmann: „Der ganze Weg, Dinge zwischen Land und Wohlfahrtsverbänden partnerschaftlich zu regeln, steht auf dem Spiel.“ Dabei hatte die Sozialsenatorin bei ihrem Amtsantritt eher eine Verstärkung dieses partnerschaftlichen Kurses angekündigt. Sie wolle mit Betroffenen nach Lösungen suchen und Entscheidungen transparent machen, sagte sie damals der taz. Purmann: „Davon haben wir noch nichts gemerkt.“
Die Liga und das Blaue Kamel, ein Zusammenschluss von rund 60 Behindertenorganisationen der Stadt, protestieren am Dienstag, den 1. 10., gegen die geplanten Kürzungen. Treffpunkt ist um 11 Uhr am Neptunbrunnen vorm Roten Rathaus. Um 17 Uhr beginnt ein sparpolitischer Ratschlag unter anderem mit Sozialsenatorin Knake-Werner in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen.
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