: Viele Ideen, ein Ziel: Höhere Einnahmen
Kurz vor den Koalitionsverhandlungen übertreffen sich SPD und Grüne als Geldeintreiber. Tabak-, Vermögen-, Erbschaftsteuer – nichts ist unmöglich
von LUKAS WALLRAFF
Für die Wahlverlierer war gestern ein schöner Tag. Fast im Minutentakt trudelten immer neue Meldungen über geplante Steuererhöhungen der Regierung ein. Nicht alles, was da so über die Ticker lief, war ernst zu nehmen. Manches wurde auch gleich wieder dementiert. Aber gerade weil die rot-grünen Regierungspolitiker wild durcheinander quatschten, hatte es die Opposition leicht, mit ihrer schlichten Sicht der Dinge durchzudringen. Für die Union stand gestern bereits fest: „Die SPD hat ihre Wähler betrogen!“ Schließlich hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch Ende Juli gesagt: „Wir haben nicht die Absicht, die Steuern zu erhöhen.“ Auch die Liberalen schimpften empört, offensichtlich werde den Deutschen jetzt „eine teure Rechnung für den Wahlausgang“ gestellt.
Anlass für die Aufregung war vor allem ein Vorstoß der SPD-Länderchefs von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, Kurt Beck und Heide Simonis, die mehr Geld in die Bildung pumpen wollen. Finanziert werden solle ein neuer „Generationenvertrag“ mit einer Erhöhung der Erbschaftsteuer und einer Wiedereinführung der Vermögensteuer, die seit 1997 nicht mehr erhoben wird. Nach Angaben der Ministerpräsidenten könnten so etwa 4 Milliarden Euro in die Kassen fließen. Bei den SPD-Verhandlungsführern für die Koalitionsgespräche gebe es „hohe Aufgeschlossenheit“ für diese Ideen, so Beck und Simonis.
Wirklich beschlossen ist jedoch noch nichts. Die Koalitionsverhandlungen beginnen erst am Montag. Bis dahin versuchen die Vertreter unterschiedlicher Interessen bei SPD und Grünen, ihre Claims zu stecken.
Nicht alle glauben allerdings, dass es besonders schlau ist, dabei allzu oft und öffentlich das Wort „Steuern“ zu erwähnen. Die Grünen sprechen lieber von einem „Abschmelzen des Ehegatten-Splittings“. Und Parteichef Fritz Kuhn bemühte sich gestern um Zurückhaltung. Eine Neuregelung der Erbschaft- und Vermögensteuer sei „denkbar“. Wenn es bei den SPD-Forderungen um eine solide Finanzierung von Vorhaben zur Kinderbetreuung und Bildung gehe, „kann man mit uns darüber diskutieren“, sagte Kuhn. „Daraus darf aber keine generelle Steuererhöhungsdiskussion werden.“
Doch die hat längst begonnen – und nimmt zum Teil kuriose Formen an. Am verwirrendsten waren die Äußerungen aus dem Gesundheitsministerium über eine mögliche Erhöhung der Tabaksteuer. „Ich glaube, dass die Menschen es verstehen würden, wenn es eine zweckgebundene Abgabe nur für Gesundheitsleistungen gibt“, sagte die zuständige Ministerin Ulla Schmidt (SPD) am Donnerstagabend. Laut ZDF soll Schmidt 5 Cent pro Zigarette vorgeschlagen haben. Der Bericht wurde zunächst „im Grundsatz“ bestätigt, dann ruderte Schmidt zurück. Eine Raucherabgabe sei unpraktikabel, erklärte eine Ministeriumssprecherin plötzlich. Schmidt wolle stattdessen Teile der Tabaksteuer für Prävention und Gesundheitsförderung abzweigen. Ja, was denn nun? Schmidts Pirouetten stießen auch bei den eigenen Leuten auf Unverständnis.
Der Kanzler würde sich freuen, wenn Vorschläge dort gemacht würden, wo sie gemacht werden sollten, nämlich in den Koalitionsverhandlungen, erklärte der neue Regierungssprecher Bela Anda – als es längst zu spät war. „Es gibt kaum eine Steuer, deren Erhöhung von SPD und Grünen in diesen Tagen nicht ins Gespräch gebracht wird“, konnte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos lästern.
Nur eine Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnen SPD und Grüne bisher kategorisch ab. Sowohl Beck als auch Kuhn bezeichneten einen solchen Schritt als schädlich für die Konjunktur.
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