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REZESSION DROHT. DA SOLLTE EICHEL KURZZEITIG MEHR SCHULDEN MACHENSteuererhöhungen nur im Aufschwung

Die Grausamkeiten müsse man direkt am Anfang begehen, lautet ein Leitsatz für jede neu gewählte Regierung – damit die Leute sie zur Wiederwahl vier Jahre später vergessen haben. So juckt es die rot-grünen Koalitionäre nun verständlicherweise in den Fingern, den Wohlhabenden und der Wirtschaft die Steuern zu erhöhen. Die neue Bundesregierung sollte diesem Impuls nicht folgen – die Lage der Wirtschaft ist einfach zu schlecht. Steuererhöhungen wären jetzt das falsche Signal. Wenn die Konjunktur besser läuft, kommt die nächste Gelegenheit ganz bestimmt.

Es ist richtig: Die Gerechtigkeitslücke existiert. Beschäftigte mit durchschnittlichen Einkommen bringen einen zunehmend größeren Anteil aller Steuern auf, Gutbetuchte und Konzerne einen immer kleineren. Daran kann Rot-Grün nicht vorbei und sollte es auch ändern. Aber nicht Anfang 2003. Schon sind die Experten von Bundesfinanzminister Hans Eichel dabei, die Wachstumsprognose für kommendes Jahr nach unten zu revidieren – wieder einmal. Dieses Jahr stagniert die deutsche Ökonomie bereits, 40.000 Firmen gehen Pleite – ein Rekordwert. Und was im Augenblick weltweit an den Börsen passiert, könnte mehr sein als ein normaler Abschwung. Nach dem Platzen der größten Spekulationsblase seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 steckt Japan in der Deflation, die USA stehen kurz davor, und aus Lateinamerika droht eine neue Erschütterung des Weltfinanzsystems.

Es wäre jetzt falsch, die schwache Nachfrage innerhalb Deutschlands weiter zu drücken, indem der Staat Bürgern und Betrieben Geld in Form höherer Steuern entzieht. Die Wirtschaft steht so kurz vor dem neuerlichen Absacken in die Rezession, dass nur helfen kann, wenn beide – Staat und Private – mehr ausgeben. Deshalb sollte der Bund vorübergehend mehr Schulden aufnehmen.

Eine grundsätzliche Abkehr vom Kurs der Haushaltskonsolidierung ist nicht nötig – wohl aber die Hinwendung zu einem wohl dosierten Policy-Mix aus Einnahmeverbesserung, Sparen und Kreditfinanzierung. Bedingung für Letzteres: Wer Schulden macht, muss sie auch zurückzahlen. Aber diese Lektion dürften sowohl Union als auch SPD inzwischen gelernt haben. HANNES KOCH

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