jenni zylka über Sex & Lügen: Unerwünschte Nebenwirkungen
Lachsröllchen und Ingwerstäbchen sind wunderbar. Vorausgesetzt, man erwischt einen charmanten Taxifahrer
Es gibt ja Menschen, die schmeißen mit links drei Gewürze durch die Luft, mit rechts eine Hand voll Mehlprodukt dagegen, und nach zehn Minuten steht ein Essen auf dem Tisch, dem man noch wochenlang hinterhersabbert. Ich bin eher einer dieser Menschen, die mit links eine Fertigpackung Tortellini neben den Topf werfen, mit rechts das Wasser anbrennen lassen und am Ende doch wieder „Callapizzamomentbitte“ anrufen.
Aber zumindest weiß ich, wo ich Rat finde: bei meinem Kochfreund. Er hat einen verantwortungsvollen Chefjob, ist glücklicherweise jedoch per Handy immer für mich erreichbar, und so kann ich auch Wichtiges wie „Wie oft kann man Fischstäbchen aufwärmen?“ fragen, selbst wenn er gerade in einer die Zukunft der Firma betreffenden Besprechung sitzt. Leider weiß mein Kochfreund wenig über ein besonderes Feld der Speisenzubereitung, das ich neulich abends kennen und fürchten lernen musste: Aphrodisiaka.
Nichts ahnend war ich an jenem Tag einer Einladung zum Essen gefolgt, ich sage prinzipiell immer zu, denn alles schmeckt besser als das, was ich mir kochen würde. Der Gastgeber ist ein medioker guter Bekannter, und ich hatte ihn bislang als etwas scheelen Junggesellen eingeschätzt, mit einer typischen Junggesellenwohnung ohne Badmülleimer, ohne Platten (hat er alle mal verkauft und sich das meiste „auf CD“ wieder geholt), auf dem Klo Wochenmagazine von Tageszeitungen.
Dass ich der einzige Gast war, fand ich okay. Besser ein netter Gesprächspartner als drei Dämlacke. Als Vorspeise reichte der Mann kleine, klebrige rote Stückchen, die ein bisschen nach Kristall aussahen. „Kandierter Ingwer“, sagte er mit Glitzern in den Augen. Scharfes Zeug, dieser Ingwer, meine Herren. Ich musste nach ein paar Minuten Geknabber dringend mit Weißwein nachspülen, bevor ich überhaupt unser freundschaftliches Streitgespräch über verschiedene Formen des Digital-analog-Überspielens fortsetzen konnte. „CDs bleiben ewig jung“, behauptete der Mann, und ich: „Aber wenn es im Original analog ist, klingt’s doof“, und so weiter, bis er die Lachsröllchen mit Kaviar holte. Kaviar kenne ich, das schmuggeln Russen im Auto nach Berlin, die Billigvariante steht im Kühlregal neben dem Schmand (wofür man den benutzt, weiß ich allerdings nicht). Ich hatte nur nie gewusst, ob Kaviar das Gleiche wie Fischeier ist, und wenn ja, müsste man da nicht auch wie bei Hühnereiern aufpassen, dass man nicht Nachwuchs aus der Legebatterie/dem Legeaquarium bekommt?
Mein Dinnerdate schüttete mir Wein nach, anstatt sich auf die Ökofischeier-Diskussion einzulassen. „Wie geht’s denn eigentlich jetzt?“, fragte er plötzlich, nachdem ich das dritte Lachsröllchen verschluckt hatte, mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck. „Na prima“, sagte ich, „muss ja, höhö, und dir?“ Er guckte mich schweigend an, mit einem Blick wie Sean Connery, wenn er gerade einen schlüpfrigen Witz mit einem Bond-Girl gemacht hat und sie jetzt auf seine Speisekarte setzt, diese Art von spießigem Sechzigerjahrewitz, Bond liegt mit dem Bond-Girl auf der Lauer, guckt ihm auf den Frotteebikinihöschen-Hintern, und wenn das Bond-Girl fragt, „Können Sie auch gut sehen?“, sagt er zweideutig, „Ich sehe genug“, oder so etwas. In diesem Moment kam mir zum ersten Mal die Ahnung, dass dieses Abendessen, jedenfalls für meinen Gastgeber, mehr sein sollte als eine Möglichkeit, meiner Tortellinidiät zu entgehen. Und dass die Speisefolge womöglich mit der Intention des Einladers zusammenhing. Ingwer, Kaviar, der Gastgeber holte gerade die „verlorenen Eier“ als zweiten Gang, sind das nicht alles Dinge, die einen rollig wie zwölf Großkatzen nach dem langen Transport aus dem Dschungel in den Zoo machen? Und was waren eigentlich diese langen weißen Dinger in der Mülltüte draußen gewesen? Ich brachte das Gespräch auf gefährdete Tierarten und mit einem genialen Haken über das Fairhandelsabkommen und den Film „Foxy Brown in Asien“ auf das, was man laut chinesischem Medizinhandbuch alles aus Säbelzahntigern pressen kann. Mein Bekannter sagte nichts, lächelte nur mit hochgezogenen Augenbrauen und schenkte mir Wein nach. „Da sollen manche Teile ja sogar aphrodisiatisch wirken“, machte ich einen Vorstoß. „Keine Ahnung“, behauptete der Mann. Aber ich war sicher: Das war eine Aphrodisiakafalle! In ein paar Minuten würde ich ihm auf den Schoß hüpfen wie ein Playboy-Hase!
Mein Kochfreund, den ich panisch vom Klo aus per Handy anrief, riet mir, sofort Unwohlsein vorzutäuschen („aber nicht Bauch, sondern Kopf, sonst ist er beleidigt“) und die Kurve zu kratzen. Ich überlegte kurz, dann gewann meine Feigheit. Ich ließ den Bekannten mit seinem Rohe-Eier-Dessert sitzen und charterte mir ein Taxi. Der Fahrer war ein wunderschöner, aufregender Mann, der zwar nicht meine Sprache sprach, und auf dessen Altersgruppe (an die 60) und Stil (Treckingsandalen) ich bis jetzt noch nie wirklich aufmerksam geworden war. Egal. Was bedeuten schon nackte, hornige Männerzehen, wenn die Wollust dahinter lacht? Der Abend endete wüst. Die Taxinummer rufe ich nicht mehr an. Und ich bin ab sofort strikte No-Fleisch-no-Fisch-no-Egg-Veganerin geworden, ich überlege sogar, auch Gewürze und Gemüse ganz wegzulassen. Sicher ist sicher.
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