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american pieDie Baseball-Playoffs beginnen – ohne die Mets

Kiffers Homerun

162 Spiele später wird es endlich Ernst. Nach einer langen Saison, die beinahe gar nicht beendet worden wäre, nach Skandalen und Skandälchen, nach Drogendiskussionen und Streikdrohungen haben in der vergangenen Nacht die Baseball-Playoffs begonnen. Dass es überhaupt so weit kam, grenzt an ein Wunder: Anfang September konnte ein Streik der Profis dank einer Einigung in letzter Minute gerade noch vermieden werden. Es wäre der zehnte Arbeitskampf in den letzten drei Jahrzehnten gewesen und womöglich das Ende für den professionellen Baseball. 6,1 Prozent weniger Zuschauer als in der vergangenen Saison haben die Stadien der Major-League-Klubs besucht. Es ist der dramatischste Rückgang seit 1995, als die Fans quittierten, dass im Jahr zuvor zum ersten Mal in 90 Jahren die World Series abgesagt werden musste – wegen eines Streiks, von dem sich Baseball bis heute nicht vollständig erholt hat.

Nun war diese Saison aber auch nicht dazu angetan, die Zweifler in Scharen zurückzuholen. Zuerst wollte sich die Liga gesundschrumpfen und dazu zwei Klubs einstampfen. Doch das scheiterte am Widerstand von Fans, Kommunen und Spielergewerkschaft und produzierte reichlich negative Presse. Wenige Wochen später bekannten kürzlich zurückgetretene Stars, dass ihre Leistungen zum großen Teil auf Anabolika zurückzuführen sind. Anschließend machten sich die Profis keine Freunde, als sie die Einführung von Dopingtests kategorisch ablehnten. Kaum war ein windelweiches Kontrollsystem beschlossen, entpuppten sich ausgerechnet die New York Mets als Hippiekommune.

Die Mets, eine der bestbezahlten Mannschaften und als Mitfavorit in die Saison gestartet, dümpelten in Tabellenniederungen, als das Nachrichtenmagazin Newsday eine Reportage veröffentlichte, in der behauptet wurde, dass mindestens sieben Spieler regelmäßig kifften. Ein Beweisfoto zeigte Pitcher Grant Roberts, wie er gerade an einem Bong nuckelt. Haschisch soll, versteckt in Erdnussbutter-Gläsern, regelmäßig in die Umkleidekabine geschmuggelt worden sein. Verschiedene Profis seien bereits positiv getestet worden, aber die Klubleitung vertusche den Drogenmissbrauch systematisch. Die Reaktion der sonst so wertkonservativen amerikanischen Öffentlichkeit war überraschend milde: Man zeigte sich eher belustigt. Der Grundtenor: Nun sei endlich zu verstehen, warum die Mets solch einen Müll zusammengurken. Und man solle doch froh sein, dass kein Kokain oder Muskeldoping im Spiel gewesen sei.

Die Mets rettete das Ende der regulären Saison, für Barry Bonds beginnt sie nun erst: Zwar hat der Outfielder der San Francisco Giants eine der produktivsten Spielzeiten eines Schlagmanns in der langen Geschichte des Baseball hingelegt und seine Wahl zum MVP, zum wertvollsten Spieler seiner Liga, gilt als sicher, aber noch nie hat Bonds jemals die erste Runde der Playoffs überstanden. Stattdessen blieb er in bisher drei Auftritten mit den Pittsburg Pirates und zwei mit den Giants stets unter seinen Möglichkeiten. Allzu viele Gelegenheiten, einmal die World Series, den Heiligen Gral des Baseball, zu erreichen, dürften dem mittlerweile 38-Jährigen nicht mehr bleiben.

Allerdings: Niemals die World Series gewonnen zu haben, ist im statistiksüchtigen Baseball kein Hindernis, um nicht doch als Legende in die Annalen einzugehen. Dieses Schicksal würde Bonds mit einigen der Allerbesten wie Ty Cobb, Ernie Banks oder Ted Williams teilen. Eher schon am Sockel kratzen könnte, wenn sich herausstellt, dass Bonds’ Produktivität auf die Einnahme illegaler Substanzen zurückzuführen ist. Geschätzte zwanzig Kilo hat er zugelegt seit seinen ersten Jahren in der Liga. Bonds erklärt den gewaltigen Muskelzuwachs, der ihn vor ungefähr fünf Jahren vom guten Schlagmann und schnellen Baserunner zum besten Power-Hitter dieser Tage befördert hat, mit einem intensiveren Krafttraining und Nahrungsmittelzusätzen. Einen weiteren Skandal könnte sich der Baseball-Sport nicht leisten. Aber der ist auch nicht zu erwarten: Schließlich werden während der Playoffs immer noch keine Dopingtests durchgeführt.

THOMAS WINKLER

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