piwik no script img

Ökostrom von Klassikern

Immer öfter sieht man an historischen Standorten wieder Wasserräder – nicht der Romantik wegen, sondern aus ökonomischer Vernunft. Bundesweit gehen etwa drei Dutzend Räder pro Jahr ans Netz

„Wenn das erste Wasserrad läuft, lässt das zweite nicht lange auf sich warten“

Es erscheint wie Nostalgie – und es ist doch purer Pragmatismus. Wenn heute an historischen Gewerbekanälen und alten Bächen neue Wasserräder entstehen, hat dies mit der Romantik längst vergangener Tage jedoch absolut nichts zu tun. Es steckt vielmehr schlichte ökonomische Vernunft hinter den ökologischen Konzepten.

Das Wasserrad – seit Jahrzehnten von der Turbine verdrängt – erlebt derzeit eine Renaissance. Allein am historischen Freiburger Gewerbekanal zum Beispiel wurden binnen zweier Jahre drei neue Wasserräder installiert. Bundesweit gehen nach Schätzungen der Branche derzeit etwa drei Dutzend Räder pro Jahr neu ans Netz. In der untersten Leistungsklasse ist die Turbine damit zum Auslaufmodell geworden.

Woher der Sinneswandel? Galt das Wasserrad mit dem Siegeszug der Turbine doch längst als veraltet. Es ist die Kostenstruktur, die den Ausschlag gibt: „Früher war die Maschine teuer, der restliche Bau aber preisgünstig zu realisieren“, sagt Martin Weißmann, Ingenieur bei der Hydrowatt GmbH in Karlsruhe. Heute ist es umgekehrt: Der ganze Wasserbau mitsamt Turbinenhaus ist teuer geworden, während die Maschinen in der Werkstatt recht günstig produziert werden können. Das heißt: Früher brachte eine kleine Turbine trotz eines üppigen Krafthauses Kostenvorteile, heute ist das Wasserrad – obwohl deutlich größer als die Turbine – am Ende billiger, weil es erheblich weniger Peripherie benötigt: keinen Rechen, keine Wasserstandsregelung, mitunter nicht einmal ein Generatorhaus.

Natürlich sind die Einsatzgebiete für Wasserräder begrenzt. Bei oberschlächtigen Rädern, deren Kammern von oben befüllt werden, um dann durch ihr Eigengewicht das Rad in Bewegung zu setzen, liege die Obergrenze bei 500 Liter Wasser pro Sekunde und 6 Meter Gefälle, sagt Thomas Günther, Geschäftsführer der Bega Wasserkraftanlagen GmbH in Bochum. Bei höherem Durchfluss oder mehr Gefälle sei die Turbine im Vorteil. Mit unterschlächtigen Rädern, deren Unterteil in der Strömung hängt und von dieser angetrieben wird, könne man Wassermengen bis 5 Kubikmeter pro Sekunde nutzen. Zwar ist der Wirkungsgrad von Turbinen besser, doch beim Preis-Leistungs-Verhältnis siegt das Rad.

Bundesweit, schätzt Ingenieur Günther, seien heute 500 Wasserräder am Netz – eine geringe Zahl, wenn man sie mit historischen Daten vergleicht. „Es gab in Deutschland einst mehr als 100.000 Wasserräder“, sagt der Unternehmer. Wenngleich diese zumeist nur Kraft gewannen und noch keinen Strom erzeugten, so verdeutlicht die Zahl doch das große vorhandene Potenzial der Kleinwasserkraft. Heute sieht Thomas Günther etwa 10.000 Wasserräder als ein realistisches Ziel, nachdem viele der einstigen Kanäle längst nicht mehr existieren.

Neubauten werden zumeist Minianlagen sein: „Der Fokus liegt bei Leistungen zwischen 5 und 10 Kilowatt, sagt Günther. Diese Kategorie habe man „in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt“. Aber auch in der Größenklasse um 50 Kilowatt finden sich noch sinnvolle Einsatzbereiche für das Wasserrad.

Zumal das Rad auch ökologisch einer Turbine in der Regel überlegen ist. Unterschlächtige Räder erhalten zumeist die Durchgängigkeit des Gewässers für Fische in beide Richtungen. Oberschlächtige Räder sind zumindest flussabwärts vollkommen durchgängig. Zudem reichern die Räder das Wasser mit Sauerstoff an – was nicht nur direkt den Fischen zugute kommt, sondern auch den Abbau eventueller Schadstoffe beschleunigt. So ist eine Baugenehmigung für ein Wasserrad oft leichter zu bekommen als für eine Turbine.

Die Bauformen haben sich in den Jahrzehnten kaum geändert – heute sehen die Räder noch ähnlich aus wie in alten Zeiten. Verändert haben sich aber das Material und natürlich die Verarbeitungsverfahren. Was früher aus Holz war, ist heute nicht selten aus anderen Werkstoffen, oft aus Metall, und die Teile werden mitunter per Laser geschnitten.

Und es wurde die Geometrie der Wasserräder durch neue Modelle ergänzt: Sie werden nicht nur als schmale Räder angeboten, sondern mitunter auch als breite Walzen. „Wir produzieren oberschlächtige Wasserräder bis zu einer Breite von 8 Metern“, sagt Maschinenbau-Ingenieur Weißmann von Hydrowatt. Unterschlächtige Räder würden bis zu 4 Meter Breite geliefert, bei einem Durchmesser von bis zu 8 Metern. Erkennbare regionale Unterschiede in den deutschen Landen und Gegenden hinsichtlich der Vorliebe für Wasserräder sieht man bei Hydrowatt nicht: In allen Mittelgebirgen ist das Wasserrad zunehmend ein Thema. Allerdings braucht die gute alte Maschine einige Zeit, um sich ein zweites Mal in der Geschichte zu etablieren: „Es steckt noch tief in vielen Köpfen drin, dass Wasserräder eine veraltete Technik sind“, muss Martin Weißmann immer wieder erfahren. Das beste Gegenargument liefern dann aber die Räder schließlich selbst: „Wenn in einer Region das erste Wasserrad läuft, lässt das zweite oft nicht mehr lange auf sich warten.“

BERNWARD JANZING

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen