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die geliebte des grauen von RALF SOTSCHECK

Wer erinnert sich noch an John Major? Der frühere britische Premierminister ist als grauester Politiker der Welt zur Fußnote der Geschichte geworden. Wenn er ein grau tapeziertes Zimmer betrat, musste er zweimal durch die Tür kommen, um wahrgenommen zu werden. Die einzige Tat, für die man ihn möglicherweise in grauer Erinnerung behalten wird, ist der Sturz Margaret Thatchers, die ihm weinend den Stuhl freimachen musste.

Sofort begann er eine Säuberungsaktion. „Back to basics“ – so nannte er seine Kampagne der Rückkehr zu konservativen Grundwerten. Die Tories sollten allesamt zu Tugendbolzen werden und sich seinem Farbton anpassen. Der eine musste gehen, weil er es im Trikot des FC Chelsea mit einer Brasilianerin getrieben hatte, der andere, weil er mit einem Mann das Hotelbett in Paris geteilt hatte, um angeblich Geld zu sparen. Fast jeden Monat wurde ein Konservativer aus Amt und Würden vertrieben, weil er moralisch nicht einwandfrei war.

Die Partei wurde so grau wie ihr Chef, bis die Wähler sie auf den grauen Stimmzetteln 1997 einfach übersahen. Da musste schließlich der Obergraue gehen. Weil die Parteimitglieder aber im Laufe der Jahre eine Phobie vor grellen Farben entwickelt hatten, wählten sie erst William Hague und dann Ian Duncan Smith zum Parteichef, die nicht mal grau, sondern völlig farblos sind.

Umso überraschter war die Nation, als sich vorige Woche herausstellte, dass ihr fast vergessener früherer Premier ein Frauenheld war. Edwina Currie, die unter Thatcher Gesundheitsministerin war, hat ihr Tagebuch veröffentlicht. Darin lobt sie Major als großartigen Liebhaber, mit dem sie eine vier Jahre dauernde Affäre hatte. Dabei ist Edwina Currie im Vergleich zu Major eine geradezu schillernde Persönlichkeit. Sie ist von Thatcher hinausgeworfen worden, weil sie lauthals verkündet hatte, alle britischen Hühnereier steckten voller Salmonellen. Die Briten stellten umgehend den Eierverzehr ein, die Hühnerbatteriebesitzer forderten Curries Kopf. Seitdem schreibt sie Romane, in denen mitunter auch Major vorkommt, wie sie jetzt enthüllte: „Die Parteiarbeiterin und der hochrangige Tory, die es in meinem Buch wild treiben, sind John und ich.“

Die Briten sind über Curries Enthüllung genauso überrascht wie über die Tatsache, dass es Major gelungen war, die Sache bis vorige Woche geheim zu halten. Dazu hatte er sich eines Tricks bedient: Er ließ Gerüchte ausstreuen, dass er eine Affäre mit Clare Latimer habe. Latimer sorgte für das leibliche Wohl in der Downing Street, dem Amtssitz britischer Premierminister. Als zwei Zeitungen anbissen und die Gerüchte druckten, überredete Major seine Köchin, auf Schmerzensgeld zu klagen. Danach wagte es kein Blatt mehr, Majors Privatleben unter die Lupe zu nehmen.

Latimer ist nun wütend, dass sie als Tarnung missbraucht wurde. Noch wütender sind die vielen Tories, die von Major wegen ihrer Affären geschasst wurden. Und Edwina Currie? Sie geht nicht auf den Tory-Parteitag, der heute beginnt, weil sie unterwegs ist, um für ihr Tagebuch zu werben.

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