piwik no script img

Ein geiler Abend in Kirchseelte

Hinter Hecken feiern 150 Neonazis im kleinen Ort bei Delmenhorst ein Konzert mit „Rechtsrock“. Die Polizei schreitet nicht ein

Die Halle auf dem Anwesen in Kirchseelte ist von außen kaum erkennbar: Hecken und Häuser versperren den Blick. Doch die Musik der Nazibands schalt durch den kleinen Ort bei Delmenhorst. Über 150 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet sind am Sonntag zum „Ausweichkonzert“ angereist.

Eigentlich hatten die Neonaziführer Christian Worch aus Hamburg und Thorsten Heise aus Nordheim das Konzert am Samstag in Witten bei Dortmund veranstalten wollen. Als die Fans des „Rechtsrock“ jedoch im Gasthof Vogel ankamen, verbot der Besitzer ihnen den Zutritt. Solche Gäste wollte er nicht. In Kirchseelte wurde den Nazis aus dem Spektrum der Freien Nationalisten indes der Eintritt nicht verwehrt. Nach eigenem Bekunden im Internet hat Robert Warneke, der das Kirchseelter Anwesen mit der Halle gemietet hat, nach Rücksprache mit Heise ab „Samstagabend die Halle in Schuss gebracht“. Seit zwei Jahren wohnt der Neonazi mit mehreren Kameraden in einem Haus neben der Halle auf dem 3.000 Quadratmeter großen Gelände. Monatliche Miete: über 2.000 Euro. Bereits am Nachmittag treffen die ersten Kameraden mit Freundinnen zu der Veranstaltung ein, um den Auftritt der amerikanischen Bands „Intimidation One“, „Final War“ oder deutscher Gruppen wie „Gegenschlag“ nicht zu verpassen.

Der neue Ort und die lange Anreise vermiesen die Stimmung nicht. Unter Beobachtung der Polizei genießen die rund 150 überwiegend glatzköpfigen Gäste gut gelaunt und bierselig das mehrstündige Konzert. Vor allem die Lokalmatadoren aus Delmenhorst, „Endlöser“, begeistern. Warum die Polizei nicht einschreitet, kann ein Polizeisprecher vor Ort erklären: „Es werden keine Straftaten begangen“. Sehr deutlich, so der Sprecher, wären die Anmelder vorgewarnt worden. Diese hätten sich, laut dem niedersächsischen Verfassungsschutz (VS), auch an die Absprachen gehalten. „Es sind keine strafrechtlich relevanten Parolen gerufen, noch verfassungsfeindliche Symbole gezeigt worden“, betont VS-Sprecher Rüdiger Hesse. Keine Überraschung. Vor Monaten kündigte Worch bereits an, rechtliche Wege für die Durchführung von „nationalen Konzerten“ zu finden. Neonazikader wie Worch wissen, welche Integrationskraft von solchen Szene-Events für die Kameraden ausgehen. Da singen die Bands dann auch mal eine volksverhetzende Zeile nicht, die Fans posen ohne verbotene Zeichen. Lassen sich doch mit erfolgreich durchgeführten Konzerten neonazistische Inhalte eingängiger für Jugendliche und junge Erwachsene vortragen und durch das gemeinsame Erlebnis eine kulturelle Anbindung schaffen. Für solche Events nutzten die Neonazis aus dem norddeutschen Raum das Anwesen in Kirchseelte schon öfters. „Fast jedes zweite Wochenende ist hier was los“, weiß ein Nachbar. Regelmäßig fänden in der Halle Treffen und Konzerte statt. Auch zum Ärger von Uwe Cordes, Bürgermeister der Samtgemeinde Harpstedt. „Juristisch können wir nicht eingreifen“, erklärt Cordes, „da es ein Privatgelände ist“. Selbst per Baurechts kann die Samtgemeinde die Nutzung der Halle nicht untersagen. Cordes: „Leider.“ Derweil verkündet Warneke, es war „einer der geilsten Abende, die ich mir hätte träumen lassen“. Andreas Speit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen