Entdeck den Berliner in dir

Ein ambitioniertes Kulturmagazin namens „Berliner“ bietet jedem Leser seinen individuellen Titel – das eigene Spiegelbild. Es will zur international wahrnehmbaren Stimme der Stadt werden

von SUSANNE LANG

Das ist echte Berliner Handarbeit: Tagelang haben die Redakteure und Grafiker gemessen, geschnitten und geklebt. Eine silberne Spiegelfolie für jedes Exemplar des neuen Kulturmagazins Berliner, die nun auf dem Cover klebt. Der Blick ins Heft beginnt also mit einem Blick ins eigene Gesicht. Ein klein wenig narzisstisch und ein klein wenig doppelbödig – der Spiegel auf dem Cover ist ein erster Hinweis darauf, wie das Magazin konzipiert ist: Es möchte Einsichten in und Aussichten auf Berlin geben. „Die Innen- und Außenwahrnehmung der Stadt verändert sich, und der Bedarf nach einer international wahrnehmbaren Stimme der Stadt wächst“, heißt es in der Ankündigung. Berliner als ein großer Spiegel, in dem man hineinblicken kann, der ein Bild der Hauptstadt zurückwirft. Jeder Blick bleibt subjektiv – je nachdem, wer aus welcher Perspektive hineinguckt.

Seit Oktober liegt das vierteljährlich erscheinende Hochglanzheft an den Kiosken – bundesweit, für stolze 9,50 Euro. Möglichst bald soll der europaweite Vertrieb starten, plant Chefredakteur und Herausgeber Boris Moshkovits. Den Titel Berliner hat er dem ehemaligen Produkt der Agentur Solarpraxis abgekauft, als diese ihr Heft im März einstellen musste. Die andere Neuheit auf dem Berliner Zeitungsmarkt, der zweiwöchentlich erscheinende englischsprachige Berliner, musste aus Titelschutzgründen zurückstecken – dieses längst zum Kult avancierte Magazin nennt sich mittlerweile Ex-Berliner.

Es gibt also wieder nur einen „Berliner“. Diesmal mit anderem Konzept, anderem Team, anderen Inhalten und zwei Sprachen, Deutsch und Englisch. „Berliner ist kein Stadtmagazin“, betont Moshkovits. „Es ist eine Haltung.“ „It’s an attitude“ – so lautet auch der Slogan, mit dem sich das Projekt selbst bewirbt. Um Berliner zu sein, müsse man nicht hier geboren sein, meint Moshkovits. Für den 30-Jährigen gebürtigen Ukrainer ist Berlinersein ein Bekenntnis zur Stadt, zu einem Lebensgefühl, das kreativ und zugleich voller Brüche ist.

Hinter dem Spiegel blickt das Magazin in der ersten Ausgabe vor allem auf den Stadtraum: auf historisch-urbane Veränderungen, Brüche im Lebensgefühl der „Generation Berlin-Mitte“ und die Veränderung unserer Wahrnehmung von Zukunft durch virtuelle Räume am Beispiel von Computerspielen. „Constant Change“ heißt das übergeordnete Thema, „stetiger Wandel“. Solch eine Klammer, die verschiedene Disziplinen und Perspektiven bündelt, soll jeder Berliner haben.

Bleibt der Blick auf das Gesicht vor dem Spiegel. Welcher Leser könnte Interesse haben an einem Kulturmagazin, irgendwo zwischen Feuilleton, akademischer Schrift und lesefreundlichen Visionen? „Kulturinteressierte und Entscheidungsträger aus verschiedenen kreativen Feldern“, hofft Moshkovits. „Architekten, Musiker, Designer, Künstler – alle Menschen, die sich mit gesellschaftlichem Wandel auseinander setzen.“

Ganz neu ist dieser Ansatz nicht. Spätestens mit zunehmender Popularität der Kulturwissenschaften in Deutschland gab und gibt es immer wieder Versuche, Themen an der Schnittstelle von Disziplinen zusammenzudenken. Neu ist, dies mit einem Magazin zu versuchen, das im Hochglanzformat dem gerade begrabenen Berliner-Mitte-Schick in fast nichts nachsteht, doch den Inhalt mit ansprechendem Layout verbinden möchte. Im Unterschied zu seinem Vorgänger legt der neue Berliner Wert auf Lesbarkeit der Texte und inhaltliche Aussagekraft der Optik. Der Akzent soll auf Meinung und Gehalt liegen. „Genau jetzt in einer Zeit, in der alles schließt und der 90er-Jahre-Hype vorbei ist, will man etwas Gehaltvolles lesen“, meint Moshkovits. Keine Publikation, die beschreibe, was sich keiner leisten könne. Um es wissenschaftlich zu sagen, schickt Moshkovits noch das große A-Wort nach: „Authentizität als Maßstab.“

„Leisten“ ist ein gutes Stichwort. Schließlich hat der Journalist und ehemalige Redaktionsleiter des New Yorker Kulturmagazins Flash Art International das Projekt selbst finanziert. Ob und wann es sich tragen wird, darüber denkt Moshkovits nicht laut nach. Sicher ist nur, dass es die erste Ausgabe nicht gäbe, hätten nicht Autoren und Grafiker unentgeltlich gearbeitet. Das Schneiden und Kleben des Covers war da nur die Krönung.