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Und ewig schimmert das Lipgloss

Die Idee von der Kunst als Mittel und Zweck von Kommunikation durchzieht seine Werkgruppen seit seinem Eintritt in die Kunstwelt Ende der 70er-Jahre: Die Kunsthalle Bielefeld zeigt „Jeff Koons. Die Bilder“ – eine Retrospektive von 1980 bis heute. Koons sanfte Konsumgütererotik verspricht Wohlbefinden

von JÖRG BUDDENBERG

Zwischen all den Lokalgrößen mit ihren ästhetikresistenten Charakterköpfen blinkte es im Bielefelder Wahlkampf pastellfarben. „Koons“ stand da in großen Lettern. Auf lindgrünem oder blassrosa Plakat geriet ein Name zum Programm. „Was will Koons?“, fragte die Lokalpresse spaßeshalber nach, erhielt einige Tage später allerdings nur ein unverbindliches „Koons kommt“ zur Antwort.

Nicht nur, wie sich dann heraus stellte, kam der als unzuverlässig geltende Künstler pünktlich zur Eröffnung seiner Ausstellung, sondern er vertrat mit professioneller guter Laune bei Podiumsdiskussion, Signierstunde und Fotoshooting auch seine Produktionsmaxime: „Kunst ist Kommunikation“. Damit hatte der Direktor der Kunsthalle, Thomas Kellein, im Vorfeld seiner Schau diskursgerecht inmitten jener politisch-industriellen Bilderwelten geworben, aus denen der New Yorker einen Großteil seiner Motivik bezieht.

Die Idee von der Kunst als Mittel und Zweck von Kommunikation durchzieht Koons Werkgruppen seit seinem Eintritt in die Kunstwelt Ende der 70er-Jahre. Seine Biografie liest sich dabei wie ein Hollywoodmärchen über merkantile Zielstrebigkeit. Vorgestern noch Kartenabreißer, dann Fundraiser im New Yorker Museum of Modern Art, gestern das Investitionskapital für die eigene Produktion an der Börse erwirtschaftet, schließlich Betreiber eines mittelständischen Kunstmanufakturbetriebes, in dem wie zu Rembrandts oder Rubens Zeiten Schüler und Vorarbeiter die handwerkliche Essenz jener Idee bereiten, mit der der Meister, vermeintlich abgestimmt auf sein Marketingkonzept, die ästhetischen Sensationen vorgibt.

Koons ist nach einer Flaute Anfang der 90-er Jahre längst wieder im Geschäft. Die Ausstellungen der Deutschen Guggenheim Berlin (2000), im Kunsthaus Bregenz (2001) und jetzt in Ostwestfalen belegen Interesse und Ambivalenz, die dieser Inszenierungspathetiker auszulösen versteht. Seine oft als naiv verworfene Zuckerbäckermalerei bricht den süß-autonomen (Vor-)Schein des Abgebildeten auf – durch eine penibel überwachte handwerkliche Perfektion sowie eine Farbgestaltung, die beim Betrachter wie konditioniert wirkende Emotionen in Bewegung bringt. Als extreme Weiterentwicklung der Pop-Art zeigt sich Koons Ästhetik dabei gebunden an die Macht der Oberflächen. Der 47-Jährige setzt auf die geradezu haptisch greifbare Brillanz seines Materials, was in der Praxis der Bildbetrachtung dann diesen speziellen Koons-Effekt hervorruft: Man hat das Gefühl, die Formen und Motive springen einen, plastisch geworden, regelrecht an. Umgekehrt begreift Koons seine Skulpturen als dreidimensionale Malerei.

Seine kostspieligen Pretiosen scheinen den schönen, von Philip Johnson entworfenen Bielefelder Kunsthallen-Kubus in Gullivers Mal- und Spielzimmer zu verwandeln: überall gerahmte Illustriertenanzeigen, mit Schere und Kleber wie hingepuzzelte Collagen aus der Playboy-, Kelloggs- und Reisebürowerbung; alles eingebettet in eine überdimensionierte Maiskörner- und Schlagsahneästhetik, in der auf ewig das Lipgloss schimmert. Im Eingangsbereich prangt „Donkey“, 290 x 450 cm, in Öl und auf Leinwand; ein treuherzig auf den Besucher blickender Disney-Esel aus der „Celebration“-Reihe, versehen mit Kinderschühchen und vierzehn zur Auswahl stehenden Schwänzen. Hereinspaziert, scheint er sagen zu wollen, in eine von aller Esoterik befreite Welt der Kunst, in der eine sanfte Konsumgütererotik ästhetisches Wohlbefinden verspricht. Dass diese Wohlfühlrezeption ein Gefüge nach sich zieht, dessen Dialektik wie ein Sampler funktioniert, merkt man dann später: Brueghel, Rubens, Michelangelo, Duchamp, Robert Smithson, Jasper Johns, Donald Judd – Anleihe folgt auf Anleihe, Baustein auf Baustein, bis alles im Koons-Legokasten in neuem, strahlendem Geschenkschleifenglanz wieder zusammengesetzt erscheint.

Im ersten Stock dann die frühen Serien, die alle berühmt geworden sind: „The New“ mit dem Duratran-Selbstporträt als kleiner Junge, dann „Equilibrium“ mit den gerahmten Nike-Plakaten, den von Koons so genannten „lockenden Sirenen“; weiter die „Luxury and Degradation“-Serie mit der nach sozialen Schichten unterschiedenen, in Öl übertragenen Alkoholwerbung sowie die Lithografien der Kunstzeitschriftenanzeigen („Banality“), deren autoritätenprovozierender Kitsch die Szene so entrüstete. Die drei optisch eindrucksvollsten Serien „Celebration“, „Easyfun“ und „Easyfun-Ethereal“, die mit insgesamt vierzehn Bildern hier vertreten sind, warten eine Etage höher auf mit einem Feuerwerk reproduzierter Begehrlichkeiten, die den Betrachter in ihrem fröhlich-bunten, fotorealistisch anmutenden Malstil herausfordern: Gegenwart pur – eine Zeitgenossenschaft, die sich entweder, wie bei „Celebration“, auf ein einzelnes Sujet richtet („Bracelet“, „Hanging Heart“), oder, wie die „Easyfun“- und „Ethereal“-Bilder („Pot Rack“, „Saint Benedict“ oder „Beach“), aus einem wilden Konglomerat kommerzieller Motive besteht wie Kochutensilien, Pralinés, Haar- oder Bikiniteilen.

Formal eine Reminiszenz an Roy Lichtenstein und James Rosenquist, den Koons selbst als starken Bezug seiner Arbeiten genannt hat, lässt die Mehrstimmigkeit der Motivik Barock- und Rokoko-Emblematik aufleben. Doch der Hinweis auf die Entfremdung der menschlichen Existenz in unserer Konsumgesellschaft wäre wohlfeile Interpretation. Die Sujets sind im Gegenteil frei von psychologischen Konnotationen. Der Betrachter wird stattdessen zurückgeworfen auf sich selbst. In den zweidimensionalen Spiegelskulpturen, die mit der „Easyfun“-Reihe entstanden sind, schaut der Betrachter sich sogar direkt ins Gesicht, weshalb der Bregenzer Katalog im vergangenen Jahr Spiegelfolien in seinen Katalog einbinden ließ. Was man in Bielefeld wieder bestätigt bekommt, ist die sehr angenehme Transparenz der Bilder. Entlastet von diskursiven Lesarten blickt der Beobachter durch die ihm allzu vertrauten Motive hindurch in jene Kontexte, in denen diese Kunst entstanden ist. Dass er dabei auf seine eigenen Sehnsüchte treffen mag, die im „Made in Heaven“-Kabinett gar erotische Züge annehmen können, ist wohl im Sinne des Erfinders.

Bis 10. November, Katalog 16 €

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