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Ein Wurm brachte den Nobelpreis

Drei Wurmforscher teilen sich dieses Jahr den Nobelpreis für Medizin. Sie haben die grundlegende Arbeiten über den Zusammenhang von Zellteilung, Zelltod und genetischer Kontrolle durchgeführt. Studienobjekt war ein winziger Fadenwurm

von WOLFGANG LÖHR

Der mit 1,1 Millionen Euro dotierte Nobelpreis für Medizin geht dieses Jahr an die Entdecker des „programmierten Zelltodes“. Den Preis teilen sich der US-Amerikaner Robert Horvitz und die beiden Briten Sydney Brenner und John Sulston. Die drei Wissenschaftler hätten in den 70er-Jahren die grundlegenden Arbeiten zum Verständnis der „Organentwicklung und des programmierten Zelltodes“ angefertigt, teilte die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften gestern in Stockholm mit.

Im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Studien stand ein winziger Fadenwurm. Caenorhabditis elegans ist im ausgewachsenen Stadium gerade mal 1 Millimeter lang. Während der Entwicklung des Wurmes werden genau 1.090 Körperzellen gebildet. Davon sterben 131 Zellen wieder ab, sodass ein ausgewachsener Wurm aus exakt 959 Körperzellen besteht.

Der simple Körperaufbau war in den späten 60er-Jahren für Sydney Brenner auch der ausschlaggebende Grund dafür, dass er C. elegans als Modelltier auswählte, um den Zusammenhang zwischen Zellentwicklung und Zelltod zu untersuchen. Dazu kam, dass der Wurm transparent ist und so die Zellteilungsprozesse gut unter dem Mikroskop zu beobachten sind.

1974 veröffentlichte Brenner seine Ergebnisse über künstlich ausgelöste Genmutationen und deren Folgen für die Organentwicklung. Damit legte der heute 75-Jährige den Grundstein für weiteren Studien über die Zellentwicklung. Brenner forscht heute am kalifornischen Molecular Science Institute in Berkeley.

Der Brite John Sulston (60) erweiterte in den folgenden Jahren Brenners Forschungsansatz. Er entdeckte, dass bestimmte Zellen während der Entwicklung einem „programmierten Zelltod“ unterlagen; der Zelltod also zum normalen Entwicklungsprogramm von Lebewesen gehört. Als Leiter des vom Pharmakonzern Wellcome gegründeten Sanger Instituts in Cambridge von 1992 bis 2000 war Sulton maßgeblich am weltweiten Programm zur Sequenzierung des menschlichen Genoms beteiligt. Er behauptete, diese Aufgabe nur deshalb übernommen zu haben, um die Arbeit mit seinem Wurm zu Ende führen zu können. 1998 war es dann so weit: Sulton veröffentlichte die vollständige Genomsequenz von C. elegans. Das erste mehrzellige Lebewesen, dessen Erbgut vollständig entschlüsselt werden konnte. Sulton beschrieb auch als Erster ein konkretes Gen, das bei der Steuerung der Zellentwicklung beteiligt ist.

Robert Horvitz schließlich, der an der Cambridge University in England auf die Arbeiten seiner beiden Kollegen aufbauen konnte, entdeckte eine ganze Reihe von Genen, die den programmierten Zelltod kontrollieren. Er wies nach, wie diese Gene, die das programmierte Zellsterben steuern, zusammenarbeiten und dass es auch beim Menschen entsprechende Gene gibt.

Seine ersten biologischen Studien führte der heute 55-jährige Horvitz bereits als Schüler durch. Kaum 14 Jahre alt, züchtete er in dem Bad seines Elternhauses Drosophila-Fliegen. „Der Geruch war fürchterlich“, gesteht der Forscher heute, „und die Fliegen waren überall im Haus.“ Derzeit forscht Horvitz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA).

Inzwischen sind mehrere Krankheiten bekannt, die auf Defekte der von den Nobelpreisträgern erforschten Gene zurückzuführen sind. Bei Krebs zum Beispiel werden die kranken Zellen nicht schnell genug vernichtet. Bei einigen Augenkrankheiten hingegen zu schnell.

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