Das ist mein feines helles Sakko

Der riesige Dildo und die Sache mit der Bushaltestelle: Wolfgang Schömel erzählt in seinem Band „Die Schnecke“ neurotische Geschichten aus der Welt einsamer Männer

Nichts Großes. Nur – zum Beispiel – ein Mann auf der Jagd: allein am Tresen stehend, bereit, Frauenbekanntschaften zu machen. Oder ein anderer Mann, Doktor der Philosophie, derzeit arbeitslos, der „neuen Sinn“ in „seiner Existenz“ sieht, nachdem er „die Sache mit den Bushaltestellen entdeckte“. Systematisch frequentiert er die Bushaltestelle an der Hamburger Elbchaussee, um mit „vornehmen und gepflegten Damen“ in Kontakt zu treten. So sehen zwei typische Helden aus Wolfgang Schömels Erzählungsband „Die Schnecke“ aus, der seinen Untertitel „Überwiegend neurotische Geschichten“ zu Recht trägt. Man kann hinzufügen: Dieses schöne Buch darf diesen Untertitel wie einen Orden vor sich her tragen.

Überwiegend geht es in den 13 Erzählungen um nicht mehr ganz junge, allein lebende Männer ohne Geldsorgen. Überwiegend sieht man sie beim Schmieden und Ausführen von genau durchdachten Plänen beschäftigt, die sich um Sex drehen. Und überwiegend gehen diese Pläne gründlich schief.

Der Mann am Tresen etwa büßt schon, bevor er auch nur mit einer Frau gesprochen hat, sein Selbstbewusstsein ein. Er verliert sich in Spiralen aus Selbstwahrnehmungen und angenommenen Fremdwahrnehmungen, in der Art wie: Was denkt diese Frau wohl, was ich von ihr denken könnte? Ein für Wolfgang Schömels Erzählungen kennzeichnender Reflexionsüberschuss, der die Souveränität seiner Helden anzukränkeln pflegt. Der Mann von der Elbchaussee macht die Erfahrungen einer anderen Art des Scheiterns. Er findet sich zwar bald in einem Damenschlafzimmer wieder, wird dann aber in einen Geschlechtsverkehr verstrickt, in dem viel Öl, ein Frack, ein riesiger Dildo und harsch gebellte Befehle eine Rolle spielen. Der Mann ist nur der Erfüllungsgehilfe einer ziemlich rabiaten Art von weiblicher Selbstbefriedigung. Das hatte er auch wieder nicht gewollt.

Episoden des Alleinseins und des Geschlechtslebens, lakonisch und mit viel Sinn fürs Tragikomische erzählt, stellenweise bis an den Rand des Slapsticks hochgetrieben. Wer meint, es in diesem Band mit einer männlich eingefärbten „Sex and the City“-Welt zu tun zu haben, der liegt ganz richtig. Nur dass es in Schömels Welt keine Dialoge gibt und erst recht kein gemeinsames Kichern über die kleinen Martyrien und Mysterien der Geschlechterdifferenz. Aus seinem eigenen Kopf kommt bei ihm keine Hauptfigur heraus. Die titelgebende Geschichte „Die Schnecke“ handelt sogar von einem Mann, der mit einem ganzen Bündel „innerer Ansprechpartner“ kommuniziert – vom kleinen Naivling über den alten Pessimisten bis hin zu einer inneren Stimme, die der Held „Gott“ nennt. Sie weiß immer alles besser. Als es einmal auf der Straße zu einem Blickkontakt mit einer realen Frau kommt, fangen im Kopf des Mannes alle Stimmen an, im Chor Prince zu singen – „Sogar ,Gott‘ singt mit.“

Leitmotivisch wichtig sind neben dem Sexthema noch sorgfältig bedachte „Konsumakte“. Vor allem durch den Kauf gehobener Kleidungsstücke versuchen die äußerlich unauffällig wirkenden, innerlich mit gesteigerter Wirrnis ausgestatteten Männer, die Schömel beschreibt, ihr Dasein in den Griff zu kriegen. Auch das hat seine Tücken. Schließlich kann man sich nie wirklich sicher sein, wie das teure Hemd oder das „feine helle Sakko von Zegna“ auf die Mitmenschen wirkt. Wie man tatsächlich an alles denken kann, nur an eins nicht: dass die Mitmenschen gelegentlich eigene Ansichten und einen eigenen Willen haben, der einem fremd bleibt, das ist der Antrieb für die groteske Komik, die alle Geschichten in diesem Band auszeichnen.

Wolfgang Schömel übrigens wurde 1952 geboren und arbeitet seit 1989 als Literaturreferent in der Hamburger Kulturbehörde. Nimmt man Außen- und Innenfoto des Buchcovers zusammen, schießt er auf ihnen mit einer Spielzeugkanone an einer jungen Frau vorbei. Auf dem Innenfoto trägt er ein Hemd, das nicht so teuer aussieht, wie man es nach Lektüre seiner Geschichten gedacht hätte. Einige Erzählungen sind zuvor schon in Zeitschriften erschienen, darunter auch eine im taz.mag – es handelte sich um eine Anleitung zum Frikadellenbraten. Sehr appetitanregend. Und auch etwas neurotisch, wird in ihr doch geraten, vorm Hackfleischkneten den Wasserhahn, den Seifenspender, den Griff der Kühlschranktür und das Handy in Plastikfolie zu verpacken, um sie nicht zu beschmutzen. Schömels Helden haben eben alles im Griff. DIRK KNIPPHALS

Wolfgang Schömel: „Die Schnecke“. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 206 S., 17 €