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Ende der Duldung

Koalition verhandelt über Bleiberecht. Pro Asyl: Wer länger als fünf Jahre in Deutschland ist, soll bleiben dürfen

BERLIN taz ■ Es ist ein beliebter Reflex, Ausländer mit möglichst vielen deutschen Stereotypen zu versehen, um so glaubhaft zu machen, dass sie eher „zu uns“ als in ihre (ehemalige) Heimat gehören. Nicht immer haut das wirklich hin. Doch Said Muhammed ist ein wahrer Modellvertreter dieser Spezies: In einem Dorf in Süddeutschland arbeitete der ehemalige Student der Landwirtschaft zunächst bei einem Bauern, bevor er eine Bäckerlehre absolvierte. Nach Feierabend spielt er im ortsansässigen Fußballverein. Sein Meister Klaus Dernbecher sagt über ihn: „Said ist eine unverzichtbare Stütze.“ Gemeinsam mit den anderen aus der Bäckerei hat er 500 Unterschriften gesammelt. Denn mit dem neuen Zuwanderungsgesetz soll Said nach neun Jahren in Deutschland zurück nach Togo.

Said ist der Protagonist einer Kampagne, mit der Pro Asyl ab heute auf das Schicksal von etwa 250.000 „Geduldeten“ in Deutschland aufmerksam macht. Das Motto: „Hier geblieben! Recht auf Bleiberecht!“ In Anzeigen und Flugblättern werden SPD und Grüne aufgefordert, sich bei der heutigen Koalitionsverhandlung zu den Themen Sicherheit und Zuwanderung für eine Altfallregelung einzusetzen. „Wer länger als fünf Jahre hier ist, muss bleiben dürfen“, sagt Burkhardt, „die Leute sind integriert. Sie haben anderswo keine Perspektive.“ 150.000 Duldungsinhaber sind vor 1998 eingereist.

Viele bisher „Geduldete“ werden mit dem Zuwanderungsgesetz schlechter gestellt als vorher. Der Status „Duldung“ wird abgeschafft; eine Aufenthaltserlaubnis bekommt nur, wer nachweislich nichtstaatlich oder geschlechtsspezifisch verfolgt wird oder faktisch nicht zurückkehren kann. Nach Schätzung von Pro Asyls ist das eine Minderheit.

Die meisten, die sich nach dem 1. Januar auf ihre Abschiebung einrichten dürfen, sind Bürgerkriegsflüchtlinge aus Exjugoslawien, von denen viele schon Anfang der 90er-Jahre einreisten. Doch auch Menschen wie Said, der 1993 als Student vor der Diktatur unter General Eyadema nach Deutschland floh, seither weder Asyl bekam noch zurückgeschickt wurde.

Oder Mostafa, der mit 14 Jahren aus dem Iran kam. Gemeinsam mit seinen Eltern erhielt er 1995 zunächst Asyl. Doch der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten klagte gegen den Entscheid. Fünf Jahre später wurde der Asylantrag abgelehnt. Mostafa hat in Deutschland den Realschulabschluss und eine Ausbildung gemacht. Seine Brüder sind anerkannte Flüchtlinge.

Zu den heutigen Koalitionsverhandlungen fordern zahlreiche Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung auf, der Menschenrechtspolitik einen höheren Stellenwert einzuräumen. Im Zentrum der Kritik stehen auch das Flughafenverfahren, die neuen „Ausreisezentren“ sowie die immer noch nicht umgesetzte Kinderrechtskonvention, die die Rechte minderjähriger Flüchtlinge gewährleisten würde. JEANNETTE GODDAR

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